BIOGRAPHIE

Jan Fišar


Jan Fišar (geb. 1933 in Hořovice, Tschechoslowakei – 2010) würde vom Alter her eigentlich zur Generation der Schüler von Josef Kaplický (1899-1962) gehören, wie Stanislav Libenský, Pavel Hlava oder Vladimír Jelínek, die seit den 1950er Jahren das tschechoslowakische Glas mit ihren künstlerisch orientierten Arbeiten erneuerten. Fišar ist jedoch einen anderen Weg gegangen und hat, wie die ersten Schüler von Libenský an der Prager Hochschule, erst in den 1960er Jahren zum Glas gefunden. Fišar studierte 1953-1959 an der Hochschule für Angewandte Kunst in der Klasse von Josef Wagner (1901-1957) Bildhauerei, wo er mit verschiedenen Materialien, vor allem mit Holz, Stein und Keramik arbeitete. Nach dem Studium versuchte er sich in Prag als Künstler zu etablieren. Um über die Runden zu kommen, übernahm er auch Guss- und Modellierungsarbeiten für die Realisierung der Werke anderer Künstler. Zeitweilig arbeitete er sogar als Heizer und befüllte nachts Kohleöfen.

1966 nahm Fišar das Angebot einer Festanstellung beim Glaswerk in Železný Brod an. Stanislav Libenský und seine Frau Jaroslava Brychtová wollten hier ihre monumentalen Plastiken für den tschechoslowakischen Beitrag der Weltausstellung 1967 in Montreal fertigen und suchten nach einem qualifizierten Mitarbeiter für die Realisierung ihrer Entwürfe, den sie in Jan Fišar fanden. Von nun an sollte er vom Glas nicht mehr loskommen. Als Quereinsteiger fand er zum Glas und eignete sich während seiner Tätigkeit bei Železnobrodské sklo ein großes Repertoire von Techniken an. In dieser Zeit entstanden auch erste eigene formgeschmolzene Skulpturen mit abstrahierenden Themen, wie es sie zuvor noch nicht gegeben hatte. Neben der Arbeit für Železnobrodské sklo nahm Fišar auch architekturbezogene Aufträge an, wie zum Beispiel die Gestaltung eines Glasdachs im Kurbad Karlovy Vary oder verspiegelte Wandverkleidungen in einer Schule für sehbehinderte Kinder in Levoča, deren geschwungene Oberflächen stark verzerrte Spiegelbilder erzeugen.

Nachdem er 1971 wieder ins Lager der freien Künstler gewechselt war, blieb Jan Fišar zunächst bei architekturbezogenen Arbeiten, die er meist mit in Zusammenarbeit mit seiner damaligen Ehefrau Eliška Rožátová entwickelte. Zu nennen sind insbesondere Aufträge für Hotels in Prag und Karlovy Vary, für das Hotel Praha in Dejvicé, das die Regierung zur Unterbringung von ausländischen Delegationen nutzte, oder für den Schah von Persien in Teheran. Fišar erwarb nun eine alte Fabrik in Nový Bor, die er bis 1980 zu einem Atelier umbaute. Hier entwickelte er ein umfangreiches skulpturales Werk. Zunächst experimentierte er mit kinetischen Objekten, die vom Betrachter durch Drehen einzelner Teile verändert werden können. „Geburt der Schlange“ von 1982 ist sogar eine fahrbare Plastik. Durch ihre Beweglichkeit wird der Kontext zum Raum und zur Lebenswelt der Betrachter zu einem Teil der Arbeit. Um 1990 herum befasste er sich anhand von Prismen mit Innenwelten. Er strukturierte sie durch das Zusammenfügen von Würfeln aus optischem Glas, die mit eingebrannten grafischen Elementen gestaltet sind. Bei längerer Betrachtung bei natürlichem Licht wird deutlich, wie auch diese vorgeblich festen Strukturen auf veränderte Lichtsituationen reagieren und gar nicht so eindeutig sind, wie sie zunächst scheinen. An zentraler Stelle seiner Arbeit stehen jedoch drei Werkgruppen, mit denen sich Fišar am längsten befasste und die er in Zyklen entwickelte: Das sind einmal seine „Steine“, große Glasblöcke, die in Zusammenarbeit mit dem Glasschleifer Jiří Jelínek gearbeitet sind. Form und Volumen dieser Arbeiten sind durch das gezielte Schleifen der Oberfläche gestaltet. Die einheitliche Farbe wirkt je nach Dicke des Materials und dem Standort der Betrachter mal hell und mal dunkel. Zeitweilig hat er in die „Steine“ auch Stäbe aus farbigem Glas eingearbeitet. Zum zweiten sind es Skulpturen aus Hohlgläsern. Große Glaszylinder, wie sie für die händische Produktion von Flachglas benötigt werden, schnitt er unregelmäßig auf und formte aus ihnen figürlich anmutende Gestalten, von denen er meist mehrere in Beziehung zueinander stellte. Die oft ins Groteske gehenden Motive, mit denen meist Konflikt (“Streithähne”) und Zuneigung (“Liebesspiele”) dargestellt sind, haben ausladend-barocke Züge, die Jan Kříž dem Einfluss von Fišars Lehrer Wagner zuschreibt. Den dritten Bereich beschreibt Eliška Stölting, die langjährige Galeristin und Biografin von Jan Fišar, als „Bewegung der Materie“. Es sind Objekte, die die beiden ersten Werkgruppen miteinander verbinden, indem Glasbarren und -blöcke über Formen abgesenkt sind. So sind teils sehr dynamische Skulpturen entstanden oder solche, die mit ihren geformten Oberflächenstrukturen, ihren „Aufzeichnungen“, so der Titel eines Zyklus, große Ruhe ausstrahlen.

Jan Fišar wollte mit seinen Arbeiten den Menschen etwas über sich und seine Lebenseinstellung näher bringen. Schaut man sich die Titel der Arbeiten an, wie „Streithähne“, „Stratosphäre“, „Uralte Botschaft“ oder „Opfergabe“, so wird schnell deutlich, dass er meist Themen von allgemeinem Interesse angegangen ist – mal mit viel Humor und dann wieder mit großem philosophischem Ernst. Fišars Œuvre ist selbst in der großen und vielfältigen Glasszene Tschechiens einzigartig. Seine Eigenständigkeit entspringt neben dem persönlichen Talent wahrscheinlich der Tatsache, dass er keine Ausbildung im Glas absolviert hat, die unter starken Persönlichkeiten wie Josef Kaplický oder Stanislav Libenský ganze Generationen zu prägen vermochte. Er ist immer Bildhauer geblieben. Glas wurde zu seinem Material, aber er hütete sich davor, den Materialreizen zu erliegen und sie in den Mittelpunkt zu stellen. Es blieb für ihn vor allem ein Material, um seine Gedanken und Gefühle auszudrücken.
Uwe Claassen

Skulptur: Kern

Achilles-Stiftung