BIOGRAPHIE

Ašot Haas


Ašot Haas (geb. 1981 in Moskau, Sowjetunion) kommt mit seiner Kunst immer wieder auf die einfachsten Formen zurück: den Kreis, das Quadrat, das Dreieck. “Kreis. In der Tat: Warum ist es ein Kreis? Ich glaube, dass es so etwas wie einen scharfen Winkel, eine scharfe Kante, nicht gibt. Am Ende ist da immer ein Bogen. Vielleicht existiert auch der Kreis gar nicht. Vielleicht ist es eine Spirale”, schreibt der Künstler. Eine an einem Lineal scharf gezogene, dünne Linie wird unter dem Mikroskop zu einem breiten Balken, dessen Ränder grob ausfasern. Wenn der Stift beim Zeichnen eines Kreises auf den Beginn der Linie trifft, trifft er die Stelle dann absolut exakt oder doch leicht versetzt, so dass der Beginn einer Spirale gesetzt ist? Das, was bei gewohnter Betrachtung vertraut und sicher scheint, wirkt aus einer anderen Perspektive plötzlich fremd. Von solchen Unschärfen in den Randbereichen von Wahrnehmung und abstrakter Vorstellung wird der Künstler angezogen. Er verstehe sie nicht wirklich, wie er selbst sagt. Sie geben ihm aber die Kraft für sein Schaffen und für die stetige Rückkehr zu den einfachen Formen.

Als Jugendlicher kam der gebürtige Moskauer Ašot Haas mit seiner Mutter und dem tschechischen Stiefvater kurz vor der “Samtenen” Revolution in die ČSSR. Immer auf der Suche nach Neuem, durchlief er von 2000 bis 2007 an der Akademie der Schönen Künste in Bratislava die Abteilungen für Industriedesign, Transportdesign, Glasdesign und zuletzt Skulptur, Objekt und Installation. Entsprechend breit angelegt ist sein Denken und Arbeiten. Grafik, Malerei, Relief, Skulptur und interaktive Licht- und Klangarbeiten umfasst sein Werk, das international wahrgenommen wird. Seine bevorzugten Materialien sind Acrylglas, Aluminium und Glas. Bereits während des Studiums befasste sich Haas mit Fragen der Vermittlung zwischen zwei- und dreidimensionaler Darstellung. Er baute dreidimensionale Skulpturen aus dünnen Schichten auf, montierte Raster aus Stiften in flachen Kästen, die aus der Entfernung den Eindruck der Dreidimensionalität reduzieren oder er durchbohrte mehrere übereinanderliegende Acrylglasplatten und stellte sie durch Abstandshalter auseinandergezogen hintereinander auf. Immer wieder setzt er dabei runde und eckige Grundformen ein. Beim Vorbeigehen an den Arbeiten entsteht im Auge der Betrachter der Eindruck von Unschärfe, ein Moiré-Effekt wie beim Drucken, wenn die Farbpunkte nicht richtig übereinanderliegen. Diesen Effekt nutzt Haas auch bei seinen Lichtkästen: Flache Ringe aus Acrylglas stehen leicht hervor und lassen beim Vorbeischreiten unterschiedlichste Farb- und Formverläufe entstehen. Das Vorgehen von Ašot Haas geht auf die Konzeptkunst der 1960er Jahre zurück. Es beruht auf der Erforschung menschlicher Wahrnehmung und Kenntnisse mit künstlerischen Mitteln, um deren Grenzen zu erweitern. Und damit verblüfft er die Betrachter seiner Werke stets aufs Neue. So rational wie die eingesetzten geometrischen Grundformen auch sein mögen, die optischen Effekte bewirken, ganz vom Künstler gewollt, ein Gänsehautgefühl emotionalen Beteiligtseins.

Die Serie der “Diamonds” geht zurück auf eine intensive Beschäftigung mit diesen Edelsteinen und ihrer Wirkung nach dem Schleifen und Polieren. Der moderne Schliff umfasst idealerweise 57 geometrische Facetten, 33 auf der oberen und 24 auf der unteren Seite. Ausgangsfragen von Haas waren: Wie ließen sich die neuen Erkenntnisse auf die Arbeit mit optischem Glas übertragen? Wie könnte die Zahl der Reflektionen dabei noch gesteigert werden? Auf der Basis von Scans perfekt geschliffener Diamanten erzeugte er zweidimensionale Schablonen, die als dünne Metallschichten auf das Glas übertragen sind. Zwei Schablonen dieser geometrischer Muster liegen sich in der Mitte der Objekte mit etwa einem Zentimeter Abstand parallel gegenüber und werden von rund geschliffenen Körpern aus farblosem optischem Glas gefasst, wobei der obere Teil deutlich abgeflachter ist. Beim Nähertreten an das Objekt nimmt man immer deutlicher wahr, wie zwischen den Schablonen ein sich gegenseitig spiegelnder, endloser Raum mit unendlich vielen Brechungen entsteht, der sich erneut im unteren Volumen der Arbeit abbildet. “Glas wird niemals die gleiche Qualität wie Diamant haben. In der Wirklichkeit ist das unmöglich, als Idee aber sehr wohl”, wie Haas meint. Und noch etwas irritiert beim Betrachten dieser gläsernen Diamanten: Man verliert sich im unendlichen Raum sich immer kleinteiliger brechender und spiegelnder geometrischer Formen. Strukturiert werden sie durch Linien, die in den Räumen zwischen den metallischen Flächen liegen und aus farblosem Glas bestehen. Die sichtbare Materie entgleitet zunehmend der rationalen Wahrnehmung, während sie gleichzeitig durch ihre eigentlich unsichtbare Umgebung strukturiert wird. Die einzelnen Exemplare einer ersten Serie dieser “Diamonds” sind mit geographischen Positionsbestimmungen bezeichnet, die alle im Umfeld des Ateliers des Künstlers liegen.
Uwe Claassen

Achilles-Stiftung