BIOGRAPHIE

Stanislav Libenský / Jaroslava Brychtová


Stanislav Libenský (geb. 1921 in Sezemice bei Mnichovo Hradiště, Tschechoslowakei – 2002) und Jaroslava Brychtová (geb. 1924 in Železný Brod, Tschechoslowakei) , über lange Jahre miteinander verheiratet, gehören weltweit zu den bedeutendsten Künstlern, die sich im 20. Jahrhundert dem Glas verschrieben hatten. Sie waren es, die mit ihrer Arbeit seit den 1950er Jahren das Glas auf hohem Niveau in die freie Kunst führten. Dabei schufen sie ein Vokabular, das nicht auf Fragen des Dekors, sondern auf den formalen Eigenschaften des Materials selbst beruht. So etwas hatte es vorher nicht gegeben. Vielen anderen Künstlern weltweit gaben sie so wichtige Impulse. Libenský tat das nicht nur als Künstler, sondern auch als bedeutender Lehrer, zuerst an den Glasfachschulen Nový Bor und Železný Brod, sowie von 1963 bis 1987 als Leiter der Glasabteilung der Hochschule für Angewandte Kunst in Prag.

Das Wirken von Stanislav Libenský und Jaroslava Brychtová hat mit dem persönlichem Talent der beiden zu tun. Es beruht aber auch auf der langen und erfolgreichen Glastradition Böhmens sowie den gesellschaftlichen Umbrüchen in ihrer Heimat, der Tschechoslowakei. Libenský hatte von 1937 bis 1939 die Glasfachschulen Nový Bor und Železný Brod durchlaufen und anschließend an der Kunstgewerbeschule in Prag unter Jaroslav Holeček Glasmalerei studiert. Unmittelbar nach dem Krieg ging er als Leiter der Abteilung Glasmalerei und Gravur an die Glasfachschule Nový Bor und arbeitete dort gleichzeitig als Glasentwerfer beim Staatsbetrieb Borské sklo. 1949 bis 1950 studierte er parallel noch einmal unter dem überaus einflussreichen Josef Kaplický an der inzwischen zu einer Hochschule für Angewandte Kunst aufgestiegenen Kunstgewerbeschule in Prag. Von 1953 bis 1962 war er Direktor der Glasfachschule in Železný Brod. In den ersten Jahren seiner Karriere hat Libenský in den für das Böhmische Glas so typischen Bereichen der Glasmalerei und -ätzung gearbeitet. Die besten seiner frühen, zumeist von gedrängter Expressivität geprägten figürlichen Kompositionen zählt Helmut Ricke zu den Spitzenleistungen der Glaskunst jener Jahre weltweit.

Jaroslava Brychtová studierte von 1945 bis 1947 an Hochschule für Angewandte Kunst Prag unter Karel Štipl Glasgravur und von 1947 bis 1950 an der Akademie der Bildenden Künste Prag unter Josef Lauda Skulptur. Ihre Vater Jaroslav Brychta war Lehrer an der Glasfachschule in Železný Brod, wo er im Bereich Lampenglas unterrichtete. Mitte der 1940er Jahren experimentierte er gemeinsam mit seiner Tochter mit dem Schmelzen von zerstoßenem Glas: Das Glas wird dabei in eine gestaltete Form eingefüllt und in einem Ofen langsam so weit erhitzt, bis es zu einem Block verschmilzt und die Gestalt der Form annimmt. Die Technik ist im Grundsatz seit der Antike bekannt, spielte aber seit der Einführung der Mundblastechnik keine zentrale Rolle mehr. Mit diesem formgeschmolzenen Glas entwickelte Brychtová noch als Studentin der Bildhauerei die Idee, eine lichtdurchlässige Masse von innen zu modellieren, um dem Licht so eine Form zu verleihen. Das ist ein originär künstlerischer Ansatz, der von keinerlei funktionaler Anwendung des Objekts ausgeht. Von allen Materialien hat nur Glas solche Eigenschaften, das sie so auf eine Stufe mit den in der Kunst der damaligen Zeit etablierten Materialien wie Holz, Stein oder Metall hob. 1953 wurde sie Leiterin des neu eingerichteten künstlerisch-technischen Entwicklungszentrum für architekturbezogenes Glas beim Staatsbetrieb Železnobrodske sklo in Železný Brod.

1953 lernten sich Brychtová und Libenský kennen, als er neben seiner Tätigkeit für die Glasfachschule in Železný Brod auch als Entwerfer für Železnobrodske sklo arbeitete. Schon bald begann die Zusammenarbeit der beiden, wobei er eher die Entwürfe lieferte, die sie mit ihrem beispiellosen Gespür für den Raum und der ihr eigenen bildhauerischen Handschrift in Formschmelztechniken umsetzte. Den Grundgedanken ihrer gemeinsamen Arbeit haben Libenský und Brychtová später selbst so formuliert: „Glas macht es uns möglich, bewusst die Substanz und ihren Innenraum zu organisieren. Das durchscheinende Licht offenbart, definiert und bildet den farbigen Ausdruck der Skulptur. Der Farb- und Vibrationsraum – geheimnisvoll, dynamisch, kühl oder intim – ist ein Medium unserer Mitteilung“.

Ihre ersten gemeinsamen Arbeiten in den 1950er Jahren waren figürlich orientiert. Mit großem Erfolg wurden ihre Skulpturen von Köpfen und Glassteine mit Tiermotiven auf den großen internationalen Ausstellungen gezeigt und prämiert. In mehrteiligen monumentalen, architekturbezogenen Arbeiten wurden sie in den 1960er Jahren immer abstrakter und näherten sich durch den Verzicht auf figürlich-narrative Motive immer mehr der reinen Arbeit mit dem Licht an. Kleine Skulpturen dieser Zeit wie „Kugel in einem Würfel“ oder „Quadrat in einer Kugel“ dienten eher der Lösung optischer Probleme für die großen Arbeiten, als dass sie als eigenständige Werke zu sehen sind.

Nachdem Jaroslava Brychtová 1984 mit 60 Jahren aus dem Betrieb ausschied und Stanislav Libenský 1987 auf Druck des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei 66jährig sein Lehramt aufgeben musste, entwickelten beide ein jugendlich-frisches Alterswerk, das auf der Höhe der Zeit und des internationalen Kunstgeschehens seinesgleichen sucht. Es sind großformatige Skulpturen in geometrisch verwinkelten Formen. Sie sind aus einfarbigem Glas formgeschmolzen. Dort, wo das Glas dünn ist, erscheint die Farbe lichthell und dort, wo es dick ist, fast schwarz. Der Wechsel von schrundigen und glatten Oberflächen, Graten und Ausbrüchen lässt bei verändertem Lichteinfall oder beim Umrunden der Skulpturen ständig neue Eindrücke entstehen. Mal wirken sie schwebend leicht und dann wieder erdenschwer. Die Betrachtung jedes dieser Objekte ist eine Erkundung der Wirkungen von Licht und Farbe im Raum.
Uwe Claassen

Achilles-Stiftung