BIOGRAPHIE

Bert van Loo


Bert van Loo (geb. 1946 in Gulpen, Niederlande – 2016) schrieb sich 1969 zunächst für Skulptur an der Rietveld Academie in Amsterdam ein und fand darüber auch zur Keramik und zum Glas. Er gehörte so zum zweiten Jahrgang Studenten der “Werkgroep” Glas.

Das niederländische Glas genießt international einen hervorragenden Ruf. Das ist im Wesentlichen auf zwei Einrichtungen zurückzuführen: Auf die Glasfabrik in Leerdam, die heute unter dem Namen “Royal Leerdam Crystal” firmiert, vor allem in der Zeit, als Andries Dirk Copier (1901-1991) das Design des Betriebs maßgeblich bestimmte, und auf den 1969 von Sybren Valkema (1916-1996) an der “Gerrit Rietveld Academie” in Amsterdam begründeten Ausbildungsgang für Glaskunst. Die Glasfabrik in Leerdam schloss sich unter ihrem 1915 eingesetzten Direktor P.M. Cochius einem aus der Kunstgewerbebewegung neu aufkommenden Trend an, die Industrieproduktion mit einer sozialen Ästhetik zu verbinden, Kunst allen Menschen verfügbar zu machen. Teil dieses Gedankens war es, Künstler und Architekten für den Entwurf von Industriewaren zu beschäftigen. Leerdam bewegte sich damit auf Augenhöhe mit den fortschrittlichen Hütten in Murano oder Schweden. Von Mitte der 1920er Jahre bis zu seiner Pensionierung 1971 bestimmte Andries D. Copier als Künstlerischer Direktor das Erscheinungsbild der Produktion in Leerdam. Sein Werk reflektiert “die europäischen Entwicklungen, die er seit den frühen zwanziger Jahren in all ihren Phasen begleitet und wesentlich mitbestimmt hat”, wie Helmut Ricke feststellt. Das bezieht sich sowohl auf die Serienfertigung als auch für experimentelle, künstlerische Einzelstücke, die “Leerdam-Unica”. In diesem Bereich nahm Copier vieles von dem vorweg, was seit den 1960er Jahren mit der aufkommenden Studioglasbewegung Bedeutung erlangen sollte. So wie er bewegten sich auch seine Schüler Floris Meydam (1919-2011), Willem Heesen (1925-2007) und Sybren Valkema (1916-1996) bereits deutlich vorher im Grenzbereich designorientierter und freier künstlerischer Arbeit. Valkema war seit 1943 zudem Lehrer an der Kunstgewerbeschule in Amsterdam, aus der später die “Gerrit Rietveld Academie” hervorging. 1964 fand in New York der erste Kongress des World Craft Council statt, wo Harvey K. Littleton seinen kleinen Studioofen für die von der Industrie unabhängige künstlerische Arbeit mit Glas vorstellte. Valkema nahm als stellvertretender Direktor der Akademie teil und erkannte sofort die Möglichkeiten eines solchen Ofens. In der Industrie bestimmten mittlerweile die Marketingabteilungen immer stärker das Programm der Glasfabriken und verdrängten künstlerisch orientierte Positionen. Die kreative Arbeit mit heißem Glas musste sich einen anderen Raum suchen und hier boten sich neue Perspektiven. Bereits 1966 hatte Valkema einen kleinen Studioofen gebaut, der nach Neubaumaßnahmen an der Rietveld Academie erst ab 1969 zum Arbeitsmittelpunkt der “Werkgroep Glas” wurde. Ganz bewusst legte Valkema den Schwerpunkt dieses neuen Studiengangs wie bei den Glasprogrammen amerikanischer Kunsthochschulen auf die kreative Arbeit und nicht auf ein handwerklich dominiertes Curriculum. Aufgrund ihrer Ideen sollten die Studenten “sich in freiem Spiel die Technik erobern”, wie Valkema betonte. Am Ofen wurde mit wechselnden Instruktoren gearbeitet. Zudem gab es Kooperationen mit Glasschulen wie der in Orrefors und der Glasfabrik in Leerdam. Studenten und Gastdozenten aus aller Welt fanden sich ein und machten den Ausbildungsgang schnell zu einem bedeutenden internationalen Zentrum für die neu entstehende künstlerische Arbeit mit dem heißen Glas, das seitdem weit über die Niederlande hinausstrahlt.

Bert van Loo verstand sich von Anfang seiner Karriere an als Bildhauer. Glas war nur eines der Materialien, mit denen er arbeitete. Schon früh wurde er als “einer der außergewöhnlichsten Vertreter des modernen Glases überhaupt” angesehen, wie Christiane Sellner schrieb. Er befasste sich nicht mit Entwürfen für Gebrauchsglas oder nutzte Gefäßwandungen als Grund für malerische Gestaltungen wie viele seiner Kollegen. Die von der runden Form ausgehende Arbeit am Schmelzofen, bei der ein Werkstück von innen nach außen aufgebaut wird, erschien ihm zu begrenzend. Statt dessen experimentierte van Loo mit nahezu allen verfügbaren Techniken: Er schmolz Glas in Formen zu Pyramiden und nutzte die optischen Eigenschaften geschliffener Flächen und Kanten. Er blies das Glas über Formen und ersetzte so die runde Form durch eine asymmetrische. Dann ging er dazu über, Flachgläser über Formen zu Reliefs abzusenken (Slumping) und weiter farbige Flachgläser zu bildlichen Kompositionen zusammenzulegen miteinander zu verschmelzen (Fusing). Zumeist tragen diese Arbeiten abstrahierte figürliche Motive: Gesichter oder Torsi. Beim ersten Coburger Glaspreis 1977 wurde er dafür mit dem zweiten Preis ausgezeichnet. Die menschliche Existenz im weitesten Sinne mit ihren begrenzten Möglichkeiten und dem Wunsch nach Höherem stehen bei diesen Arbeiten inhaltlich im Mittelpunkt. Van Loo sieht in ihnen seine zu Ideen destillierten und in Objekte geformten Gefühle, mit anderen Worten deren “Materialisierung”, die dort beginnt, wo das Wissen endet. Ratio und Emotion fließen hier ineinander.

Mit der Zeit wurden die Arbeiten abstrakter und entwickelten sich zu Materialkollagen: Blei, Stein, Holz, Farbaufträge, Neonlicht und anderes traten vermehrt zum Glas hinzu. Die Themen verlagerten sich zunehmend auf Natur- und Landschaftseindrücke wie Berg, Wasser oder Horizont. Nun waren es aber nicht mehr allein die Formen, mit denen van Loo ein Thema entwickelte, sondern er ging ähnlich wie z.B. Josef Beuys (1921-1986) dazu über, auch die Aussagekraft von Materialeigenschaften dafür zu nutzen: hart – weich, dunkel – hell, kalt – warm, etc.. Er suchte nach unerwarteten Materialkombinationen, um neue Bedeutungsebenen zu finden. Die Resultate sind „konkret, aber gleichzeitig rätselhaft”, wie van Loo seine Arbeiten selber sah. Dem Betrachter gibt er nach Paul Knolle so “die Möglichkeit zu Assoziationen. Dadurch werden seine Arbeiten poetisch.” Auch er selbst wunderte sich durchaus über seine Skulpturen. Den Schaffensprozess sah er als die Suche einer persönlichen Balance bei der Fragen entstehen, auf die er selber keine direkte Antworten wisse. Im Gegenteil: Es sind Bildwerke, durch die neue Fragen entstehen. Eine Skulptur ist für ihn “ein Vehikel des persönlichen Mythos, handelnd von irdischer Gebundenheit und geistiger Freiheit”. “Es ist nicht meine Absicht, Fragen zu beantworten, sondern sie hervorzurufen.”

In einer Werkgruppe reihte van Loo zugeschnittene farblose Glasscheiben: Identische oder in ihrer Form variierende Ebenen sind miteinander verklebt oder mit etwas Abstand in einer Basis montiert. Die Scheiben sind häufig durch Gravuren oder aufgeschmolzene Farbglaselemente gestaltet, bzw. sind Elemente aus anderen Materialien zwischen ihnen als Abstandhalter eingefügt. Aus dieser Arbeitsweise entstand in den 1990er Jahren eine Serie von monumentalen Auftragsarbeiten für den öffentlichen Raum, die das Werk unter Einbezug der Umgebung stark auf den einfachsten Grundgedanken konzentrieren: Miteinander verklebte Glasscheiben sind im rhythmischen Wechsel in aufgetrennte Granitfelsen eingefügt. Der erdgebundene, intransparente Granit trifft auf das von Menschen produzierte, transparente Glas. Van Loo nahm das Glas als ein metaphysisches Material wahr: Mal ist es da und mal nicht. Es ist gleichzeitig materiell und immateriell. Natur und Zivilisation treffen hier aufeinander und das Schwere wird auf magische Weise zum Schweben gebracht. Bert van Loo hat es “immer sehr gefallen, das Unversöhnliche auszusöhnen”. Die Grundhaltung seines Werks beschreibt er mit einem Zitat des 2004 ermordeten Filmregisseurs Theo van Gogh: “Freiheit … kann nur gedeihen, wenn sie von einem inneren Bedürfnis getrieben wird, etwas Schönes zu schaffen.”

An der Entwicklung dieser Freiheit hat van Loo nicht nur durch sein künstlerisches Werk gearbeitet. Seit den 1970er Jahren engagierte er sich kontinuierlich weltweit als Gastdozent in der Ausbildung von Künstlern. Er war Mitglied in verschiedenen Gremien der Kunst- und Kulturförderung und zudem Initiator und Mitorganisator des bedeutenden Projekts “Beelden in Glas”, das 1986 international große Beachtung gefunden hat: Für eine konzeptuelle Tagung, ein zweiwöchiges Arbeitssymposium und eine Ausstellung kamen Künstler, die bereits mit bzw. bisher ohne Glas gearbeitet hatten, zusammen. So sollten einerseits neue Impulse von außen ins Glas getragen werden, aber auch die Möglichkeiten, die das Glas der Kunst bietet, einer breiten Szene vor Augen geführt werden. Van Loo ging es immer darum, die kreative Arbeit mit Glas aus einer vielfach festgestellten Isolation im Handwerklichen heraus und in die Freie Kunst hinein zu führen. Er sah durchaus die Gefahr, “dass die Glasbewegung sterben wird”, falls das nicht passiert. Die Niederlande und dort vor allem die Glasabteilung an der Rietveld Academie sind ein internationaler Vorreiter in diesen Dingen, der bis in unsere Gegenwart hinein entsprechende Perspektiven stets offen hält und erweitert.
Uwe Claassen

Achilles-Stiftung