BIOGRAPHIE

Ivan Mareš


Ivan Mareš (geb. 1956 in Děčín, Tschechoslowakei) gehört zu den Schülern Stanislav Libenskýs, die zu Beginn der 1980er Jahre mit Formschmelztechniken experimentierten, um autonome Skulpturen zu erschaffen.

Zahlreiche mit Glas arbeitende Künstler aus der Tschechoslowakei setzten seit den 1950er Jahren mit ihren Arbeiten wichtige Impulse im globalen Maßstab. In den 1950er und 60er Jahren waren es zunächst die Schüler von Josef Kaplický, die das tschechische Glas auf eine neue Ebene führten: weg von Gebrauchsfunktionen und hin zu skulpturaler Qualität. Seit Mitte der 1960er Jahre folgten Václav Cigler und seine Schüler mit ihren Arbeiten aus geschliffenem optischen Glas, mit denen sie anhand abstrakter geometrischer Formen und dem mit Bezug zur Umgebung die lichtbrechenden Eigenschaften von Glas künstlerisch erkundeten. In den 1970er Jahren, als diese Kunst ihrem Höhepunkt zustrebte, ging von Schülern Stanislav Libenskýs eine Gegenbewegung aus: Zunächst wurde auf Naturformen als Motiv zurückgegriffen und mit diesem lyrischen Moment die vorherrschende Rationalität im Umgang mit dem optischen Glas ausgehebelt. Die Glasmalerei wurde wieder entdeckt, allerdings nicht mehr dekorativ und mit dem Trägerglas als bloßem Malgrund, sondern indem plastische und malerische Qualitäten miteinander verbunden wurden. Auch Hüttentechniken wurden für neue skulpturale Arbeiten genutzt. Für die Folgezeit entwickelten sich aber Formschmelztechniken als die dominante Arbeitsweise für den künstlerischen Umgang mit Glas. Eine hitzebeständige Form wird dabei mit Glasgranulat oder Glasstücken gefüllt und in einem Elektroofen erwärmt bis das Glas schmilzt und die Gestalt der Form annimmt. Seit den 1950er Jahren wurde diese bildhauerische Arbeitsweise vor allem für skulpturale Arbeiten mit architektonischem Bezug genutzt. Autonome Plastiken in dieser Technik gab es durchaus auch schon. Sie wurden von Künstlern wie Stanislav Libenský und Jaroslava Brychtová oder nach ihrem Vorbild von Jan Fišar und anderen aber nur gelegentlich gefertigt und besaßen noch keine schulbildende Dominanz.

Ivan Mareš, der nach einer Ausbildung 1971 bis 1975 an Glasfachschule in Kamenický Šenov zwischen 1977 und 1983 an der Hochschule für Angewandte Kunst Prag unter Stanislav Libenský studierte, war dessen erster Schüler, der mit Formschmelztechniken zu überzeugenden Ergebnissen und einer ganz eigenständigen Formensprache fand und damit eine Erneuerung des tschechoslowakischen Glases eingeläutete. Seine Examensarbeit bestand 1983 neben Entwürfen für Trinkgläser sowie für die Architektur aus einer Reihe abstrakter formgeschmolzener Skulpturen. Ihre besonderen Kennzeichen waren eine beispiellose Präsenz im Raum und die Behandlung der Oberflächen. Mareš schliff und polierte sie nur partiell oder gar nicht, sondern ließ Grate und andere durch die Form und den Schmelzprozess gegebene Schlieren, Uneben- und Rauheiten stehen. Gegenüber den inzwischen als kalt und leblos empfundenen Arbeiten aus perfekt geschliffenem und hochpoliertem optischen Glas wirkten diese Plastiken wie Gegenstücke aus einer anderen Welt. Zwei unterschiedliche Materialauffassungen treffen hier aufeinander. Da ist einmal das ästhetische Spiel mit der im Glas liegenden Brillanz und Schönheit und zum anderen der Anspruch, auch andere im Glas liegende Qualitäten zu sehen und mit den Kontrasten zwischen ihnen zu arbeiten. Alena Adlerová sprach von einer „gewissen Brutalität“ der Arbeiten von Mareš, die zugleich voller feiner Details seien.

Schnell wurde diese Arbeitsweise von zahlreichen Künstlern übernommen und stilbildend erst für die innovative Glaskunst der ČSSR und dann weltweit. Und dennoch blieb Ivan Mareš aufgrund seiner eigenständigen Formensprache, seiner enormen technischen Fähigkeiten und seiner Lust, immer wieder nach neuen Möglichkeiten zu suchen, eine Ausnahmeerscheinung. Das Wichtigste sei für ihn, etwas zu machen, was ihn selbst überrasche. Die von Libenský und Brychtová eingeführte Arbeit mit der differenzierenden Leucht- und Farbkraft verschieden starken Glases erweitert er durch den Kontrast organischer und exakt geometrischer Formen. Er schafft Einblicke in das Glas und verschließt es durch raue Oberflächen. Kompakte Masse setzt er gegen Durchbrüche und fragile Verletzlichkeit. Eine Vorliebe hat er für runde und ovale Formen wie das „Ei“, das er durch eine kristalline Binnenstruktur kontrastiert oder geometrische Formen, die einen Widerpart wie beim „Labyrinth“ in einem sprudelnden Inneren finden.

Inspiriert wird Mareš von der wilden Natur der Wälder bei Nový Bor, wo er in einem kleinen Ferienort sein Atelier hat und konzentriert seiner Arbeit nachgehen kann. Wichtig ist ihm auch die technische Seite seiner Arbeit. In zahlreichen Schmelzexperimenten tastet er sich langsam an die Realisierung seiner Ideen heran und überschreitet dabei immer wieder die Grenzen des bisher als technisch möglich Gedachten. Als er 1996 bei einem Wettbewerb ein Wachsmodell für sein „Rope-Egg“ präsentierte, ein Netz aus verknoteten Seilen in der Form eines Eis, bei dem auch die feinsten Fasern detailliert dargestellt sind, war die Jury begeistert, ging aber davon aus, dass es nicht in eine Glasskulptur umsetzbar sei, wie Sylva Petrová zu berichten weiß. Nach vielen Versuchen konnte die Glasskulptur ein Jahr später gezeigt werden. Der große Aufwand, den Mareš mit der Realisierung seiner kraftvollen, inspirierenden und tief bewegenden Skulpturen betreibt, bedeutet, dass er jedes Jahr nur sehr wenige Arbeiten vollenden kann, oft genug nicht mehr als zwei oder drei.
Uwe Claassen

Achilles-Stiftung