BIOGRAPHIE

Lukáš Mjartan


Lukáš Mjartan (geb. 1975 in Bratislava) kommt eigentlich aus der Keramik. Er besuchte die Keramikklasse einer Sekundarschule mit der Fachrichtung Angewandte Kunst und schaffte anschließend im Jahr 1994 den Sprung an die Akademie der Bildenden Künste in seiner Heimatstadt Bratislava. Hier studierte er Keramik im Fachbereich für Industriedesign. Die samtene Revolution war noch nicht lange her, der Eiserne Vorhang gefallen und die Tschechoslowakei soeben in zwei Staaten zerfallen. Wie so viele andere wollte auch Mjartan Europa erkunden und nutzte dazu die nun möglichen Auslandssemester während des Studiums. 1997 ging er an die Akademie der Bildenden Künste nach Krakau und 1998 an das Department für Glas, Architektonisches Glas und Keramik der Universität Sunderland.

Der einsemestrige Aufenthalt in Sunderland war „der entscheidende Moment in meiner persönlichen künstlerischen Entwicklung“ sagt Mjartan über sich selbst (in Plateaux Gallery [2020]: o.S.). Hier lernte er die eigentlich ebenfalls in Bratislava lebende Zora Palová kennen, die damals in Sunderland eine Forschungsprofessur inne hatte und die Arbeit mit formgeschmolzenem Glas unterrichtete. Mjartan weiter: „Am Glasdepartment und am Nationalen Glascenter wurde ich in die Wunder des formgeschmolzenen und des geblasenen Glas eingeführt. Das bestimmte meine zukünftige Karriere“ (ebd.). Zurück in Bratislava beendete er zwar noch im Jahr 2000 sein Industriedesign-Studium, war aber an das Glas verloren. 1998 bis 2005 war er Assistent von Zora Palová und ihrem ebenfalls mit Glas arbeitenden Mann Štěpán Pala. Diese Tätigkeit ersetzte ihm das in der Slowakischen Republik bei mit Glas arbeitenden Künstlern sonst übliche Studium an der Akademie der Bildenden Künste. Seit 2005 betreibt er in Bratislava eine eigene Werkstatt. Handwerklich-technisch steht er gegenüber niemand anderem zurück. In seiner Kunst ist der Einfuß seiner beiden Mentoren Pala und Palová bis heute spürbar: Auf der einen Seite eine Ausrichtung auf exakte mathematisch-geometrische Formen, die andererseits durch gestische Texturen und Elemente sowie durch unregelmäßige verteilte Luftblasen kontrastiert sein können.

Am Beginn von Mjartans Karriere stehen zeichenhafte Arbeiten: aufrecht stehende Paneele, die ein einfaches Kreuz tragen, vor allem aber Mehrfachkreuze, deren Umrisslinien sich hinter einer planen Ansichtsfläche zu dreidimensionalen, labyrinthischen Gangarchitekturen auswachsen. Die Geometrie dieser Gänge wird dabei kontrastiert durch die unregelmäßig gebrochen wirkenden Ränder der Ansichtsfläche. Es folgte eine Werkgruppe, deren Glaskörper von Hohlräumen durchzogen sind, die den gekrümmten Linien von Ellipsen entsprechen. Mal ist die Ellipse klar erkennbar, mal nur angedeutet und dann kreuzen sich zwei solcher gebogenen Linien. Unklar bleibt, ob sie eher auf einer freien gestischen Malerei basieren oder auf rational berechneter Geometrie. Im Wechsel von polierten und mattierten sowie bisweilen mit rauen Texturen versehenen Oberflächen entsteht ein beeindruckendes Farbspiel eines einzigen eingesetzten Farbtons. Um 2010 herum begann Mjartan zunehmend, auf die ins Dreidimensionale übertragenen linearen Gestaltungselemente zu verzichten und entwickelte nun Raumkörper, die ihre Spannung vor allem aus den in bizarren Winkeln zueinander stehenden Bauelementen einer eckigen Geometrie beziehen, unterstützt durch den Kontrast polierter, matter und schrundiger, manchmal auch einzelner gestisch bewegter Oberflächen.

In den letzten Jahren sind Martjans Skulpturen wieder runder geworden. Arbeiten wie „Daylight“ aus dem Jahr 2019 bestehen an der Breitseite aus mattierten, gerundeten Bauelementen mit horizontalen Einschnürungen. Die Schmalseiten sind plan geschliffen und poliert. Hier kann das Licht einfallen und die Skulptur zum Leuchten bringen. Diese Flächen erhalten in der Vertikalen ihre Form durch gleichmäßige Bögen, deren Schwünge an der Vorder- und Hinterseite versetzt verlaufen. So entstehen übereinander ellipsenartige Kegelschnitte, die schräg zueinander stehen. Die geometrische Komplexität wird weiter gesteigert, indem die formgebenden Schwünge der Schmalseiten rechts und links ebenfalls versetzt verlaufen: Auf der einen Seite verläuft der obere lange Schwung vorne, auf der anderen hinten. Die einzelnen Bauelemente wirken so seltsam verzogen und fragil gestapelt. Es entsteht eine große konstruktive Spannung, die durch die weichen Rundungen und sanften Farbnuancierungen wieder aufgefangen wird. Formal weitet Lukas Mjartan hier die Nutzung von Mathematik und Geometrie für seine Skulpturen bis ins Extrem, wie es kaum ein anderer Künstler wagt. Inhaltlich ist er offen: Die Titel verweisen wie bei „Daylight“ oder „Medusa“ auf natürliche Erscheinungen, „Deep Blue“ steht für die Farbe der betreffenden Skulptur und bezeichnet damit genau das, was die Betrachter hier sehen. Mit den Skulpturen „Yellow Torso“, „Venus“, „She“ und „He“ (alle 1/2021 zu sehen auf der Website des Künstlers) zeigt Mjartan aber auch, wie ihn der menschliche Körper inspiriert. Entsprechend können seine aktuellen Arbeiten gesehen werden als eine Befragung der Möglichkeit, natürliche und organische Erscheinungen mit Mitteln der Geometrie darzustellen und zu verstehen.
Uwe Claassen, 4/2021

Literatur:

Coburger Glaspreis für zeitgenössische Glaskunst in Europa 2006. Kunstsammlungen der Veste Coburg. Coburg 2006. // Ernsting Stiftung Alter Hof Herding (Hg.): … Wer hätte das gedacht! Glasmuseum Alter Hof Herding, Glasdepot Höltingshof. Mit Beiträgen von Lilly Ernsting, Julia Geldmann und Ulrike Hoppe-Oehl. Coesfeld 2016. // Plateaux Gallery: Lukas Mjartan. In: www.plateaux.co.uk/artists/79-lukas-mjartan/overview/ [8.12.2020]. // Petra Reategui/Katarína Beňová/Miroslav Zeman: Slovakian Glass. In: Neues Glas 2/2016, 38-43. // Slovak Contemporary Glass. Hg. Katarína Beňová für Galéria Nova. Mit Beiträgen von Dan Klein, Katarína Beňová, Sabina Jankovičová, Miroslav Zeman. Bratislava 2008. // Verre Contemporain Slovaque 1960-2020. Musée du verre de Conches. Katalog zur Ausstellung 4.7.-20.9.2020. Mit Beiträgen von Éric Louet und Beáta Balgavá. Conches 2020.

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