BIOGRAPHIE

Zora Palová


Zora Palová (geb. 1947 in Bratislava, Tschechoslowakei) sagte in einem Interview: „Glas ist materialisiertes Licht“ (Tuma 2002: o.S.). An anderer Stelle konkretisierte sie das: „Glas ist nicht nur ein Material, es ist eine Materie mit eigenem Leben; es ist ein Raum, der vom Licht geformt wird“ (Zorenie 2018: 2). Da verwundert es nicht, dass sie 2018 für die Ausstellung zu ihrem 70. Geburtstag den Titel „Zorenie“ wählte. Das Wort enthält zu drei Vierteln Palovás Vornamen, in Gänze übersetzt bedeutet es „Dämmerung“: den roten Himmel morgens und abends, den ersten und den letzten Lichtstrahl. Die Dämmerung ist eine Zeit des Übergangs, die zum Innehalten einlädt. „Zorenie“ bedeutet für Palová deswegen auch „Nachdenken, Fühlen, Meditieren, Engagement, Spannung, Flucht, Sehnsucht, Annäherung, Stoppen, Verlassen, Sprechen, Zuhören …“ (Palova in Zorenie 2018: Klappentext). Ein poetisches Wortspiel verbindet die Künstlerin Zora Palová mit dem Licht, das ihrem bevorzugten Material, dem Glas, Form verleiht.

Die von der Galéria Nedbalka in Bratislava ausgerichtete Ausstellung war keine Retrospektive im üblichen Sinn, die ältere Werke aus den verschiedenen Werkphasen versammelt. Palová hat sie selber konzipiert und die sieben Dekaden ihres bisherigen Lebens mit innerhalb von zwei Jahren neu geschaffenen Skulpturen künstlerisch interpretiert. Für die Kindheit steht eine Art gelber Pfeil, der wie ein Blitz den Raum durchzuckt und signalartig vielfältiges Suchen und Ausprobieren aufzeigt. Die Skulptur „Balletttänzerin“ verweist auf Wunschträume des jungen Mädchens. Die dritte Dekade stand ganz im Zeichen der Mutterschaft: Eine dreiteilige Skulptur von Abschnitten weich geformter, schlauchartiger Gebilde, mal als „Zellteilung“, mal als „Drei Jungen“ bezeichnet, steht für diese Lebensphase. Den Beginn des eigenständigen künstlerischen Wegs markieren Schmuckstücke als vierte Dekade. Den fünften Abschnitt nennt sie „Meine Planeten“, für den die Skulpturen des Eis- und des Wasserplaneten stehen. Es ist die Zeit der Ablösung von der Arbeit mit geschliffenem optischen Glas, wie sie von Palovás Lehrer Václav Cigler unterrichtet wurde, und der Hinwendung zu Formschmelztechniken, die ihr die Entdeckung neuer Welten ermöglichten. Die Skulptur „Sky Waves“ steht für die sechste Dekade, die ganz im Zeichen einer meisterhaften künstlerischen Produktion und internationaler Anerkennung stand und in der sie immer wieder auf die Themen Himmel und Meer zurückkam. Den Abschluss bildete die Skulptur „Sea Creature“. Als Symbol der siebten Dekade stellt sie Monumentalität und Fragilität gegenüber, zwei Eigenschaften die das Herz von Palovás Kunst darstellen (Zorenie 2018: 10).

Zora Palová besuchte von 1963 bis 1967 die Fachschule für Angewandte Kunst in Bratislava und legte dort im Bereich Holzbildhauerei bereits ein großes Talent für skulpturales Arbeiten an den Tag. An der Akademie der Bildenden Künste studierte sie ab 1969 zunächst Malerei bei Ladislav Čemický. Nachdem sie Václav Ciglers Klasse für Glas in der Architektur entdeckt hatte, wechselte sie 1971 zu ihm. Hier entstanden durch Schleifen und Polieren von optischem Glas Kunstwerke, die durch Brechungseigenschaften des Materials und Lichtreflektionen den Eindruck des umgebenden Raumes veränderten. Diese minimalistisch-konzeptionelle Kunst befand sich auf der Höhe der Zeit – auch im Vergleich mit dem Westen. Im Kontrast zu den Beschränkungen der klassischen Kunstformen Malerei und Bildhauerei, die vor allem nach der Niederschlagung des Prager Frühlings immer stärker vom Sozialistischen Realismus dominiert wurden, gelang es Cigler noch längere Zeit die politischen Vorgaben für die Bildende Kunst unter dem Deckmantel des Architekturbezogen-Angewandten unterlaufen zu können. Palová wurde zu einem Teil der elitären „Cigler-Bruderschaft“ (Klein 2007: 31), die mit ihrer vibrierenden Aufbruchsstimmung zu den aufregendsten Abteilungen der Akademie gehörte. Hier konnte sie auch wieder plastisch arbeiten. Und zudem lernte sie hier ihren späteren Mann Štěpán Pala kennen.

Nach dem Studium bauten Pala und Palová ab Mitte der 1970er Jahre in Bratislava eine Werkstatt auf, wo sie nahezu alle Arbeitsschritte selber ausführen. Doch kam Palová zunächst nur eingeschränkt zur eigenen künstlerischen Arbeit. Sie brachte drei Kinder zur Welt, kümmerte sich um sie und unterstützte ihren Mann bei der Entwicklung und Realisierung seines von der Geometrie bestimmten Werks. Ihr eigenes Schaffen beschränkte sich auf Schmuckunikate, die sie ganz nach den bei Cigler erlernten geometrischen Prinzipien aus optischem Glas schliff. Mit der Zeit konnte Palová sich vom Schmuck lösen und fand zu kleineren, nach den gleichen Prinzipien entwickelten Objekten. Sie fühlte sich damit jedoch in ihrer Kreativität eingeschränkt. Das Studium bei Cigler hatte sie zum Glas gebracht und ihr Fähigkeiten zum konzeptionellen künstlerischen Denken vermittelt. Ihre Prägung als Bildhauerin hatte sie aber bereits an der Fachschule für Angewandte Kunst erfahren, wo sie von ihrem Lehrer Ludwig Korkoš ermutigt wurde, sich frei auszudrücken. „Ich sehe mich selber zuerst und vor allem als Bildhauerin und lernte die skulpturale Arbeit lange bevor ich ins Glas kam“ […] „Meine Instinkte gehen in Richtung eines gestischen Ausdrucks, Cigler richtete mich aber auf die Geometrie aus“ (Palová nach Klein 2007: 21 und 29).

Die Suche nach Ausdrucksformen, die ihrem Talent stärker entsprachen, führte Palová zum formgeschmolzenen Glas, bei dem Glas in oder über einer vorgefertigten Form geschmolzen wird. Seit den 1950er Jahren hatten Stanislav Libenský und seine Frau Jaroslava Brychtová diese Arbeitsweise entwickelt und insbesondere mit großformatigen architekturbezogenen Arbeiten weltweit für Furore gesorgt. Studenten aus Libenskýs Glasklasse an der Hochschule für Angewandte Kunst in Prag experimentierten seit dem Ende der 1970er Jahre mit ihnen für Skulpturen, die unabhängig von einem architektonischen Bezug stehen. Mitte der 1980er Jahre erzielten junge Künstler wie Ivan Mareš, Jaromír Rybák oder Gizela Šabóková damit den Durchbruch. Auch Palová begann, Formschmelztechniken auszuprobieren, und richtete sich 1989 dafür eine Werkstatt mit eigenem Ofen ein. In den 1990er Jahren entwickelte sie dann ihre höchst eigenständige Formensprache. Weltweit wird sie wahrgenommen, nicht nur mit ihren Skulpturen und Aufsehen erregenden monumentalen Auftragsarbeiten wie den acht Meter hohen „Guardian“, der 1996 für die neue Zentrale des Verbandes der Versicherer in Den Haag entstand, oder den „Light Transformer“ für das National Glass Centre in Sunderland (eine Gemeinschaftsarbeit mit ihrem Mann), sondern auch als Lehrerin. Von 1996 bis 2003 war sie Professorin an der Universität Sunderland in England und danach als Gastdozentin an weiteren Einrichtungen tätig.

So wie Palová sich von ihrem Lehrer Václav Cigler freigeschwommen hat, so ließ sie auch das Vorbild Libenský/Brychtová hinter sich. Viele Arbeiten der beiden und ihrer Schüler folgen einer „kalkuierenden Ästhetik“ (Klein 2007: 35) unter Nutzung geometrischer Formen, mit denen die Wirkung von Licht und Farbe im Glas erkundet wird. Auch Palová arbeitet mit geometrischen Grundformen und dem Kontrast hochpolierter und mattierter, schrundiger Oberflächen, die das Licht führen, den Einblick ins Glas ermöglichen oder verunklaren und ihnen durch ein sanftes Leuchten eine erhabene Ausstrahlung verleihen. Diese Elemente bricht sie aber durch gestische Elemente, die ihren Skulpturen eine zusätzliche inhaltliche Dimension verleihen. Inspiration findet sie überall in der natürlichen Welt, dem Zusammenleben der Menschen und in ihren eigenen Emotionen. Die Grundformen der Arbeiten können Assoziationen zu Brücken, Booten, Blättern oder Zellstrukturen erlauben. Tiefgreifende Riefen oder Felder aus lamellenartigen Bändern verweisen auf kraftvolle und sanfte natürliche Energien wie den Wind oder strömendes Wasser. Manche Skulpturen zeigen mit ihren Stegen eine Faszination für die meist nicht sichtbaren Baupläne der Natur oder von Ingenieurskonstruktionen. Massive monumentale Elemente finden ihr Gegenstück in feinen Bändern, fragilen Auskragungen und zarten Farbabstufungen, die je nach dem Durchmesser des Materials changieren.

Palova formt ihre Skulpturen zunächst in Ton. So ist eine intuitv-spontane Arbeit möglich. Das fertige Modell wird in eine Form umgesetzt, in der dann das Glas geschmolzen wird. Abschließend erfolgt eine Kaltbarbeitung durch Schleifen, Sandstrahlen, Polieren und Mattieren. Zwei Themen durchlaufen konstant das Werk der Künstlerin. Zum einen ist es der Drang zu immer größeren Formaten. Weil Glas sehr schwer ist, war ein Grundgedanke, möglichst wenig Material zu verwenden. In einem Vortrag beschreibt Palová, wie sie auf die Idee kam, Linienzeichnungen dreidimensional umzusetzen (Palová 2008: o.S.). Eine umlaufende Kontur wird durch Stege stabilisiert. Die Arbeit „Zelle“ aus dieser innovativen Werkgruppe wurde beim Coburger Glaspreis 2006 ausgezeichnet. Zum anderen kommt sie immer wieder auf das Meer als künstlerisches Thema zurück: „In der Slowakei haben wir kein Meer. […] Als ich nach Sunderland kam, habe ich ein so schönes Meer gesehen. Jeden Tag änderte es sich, es entstanden ständig neue Bilder, abhängig vom Licht, vom Himmel, vom Sonnenschein, Sonnenunter- und Sonnenaufgang. Ich versuche nur, das auf meine Weise auszudrücken“ (ebd.). Glas ist dabei das optimale Medium, denn so wie das wechselnde Licht den Eindruck ein und derselben Landschaft immerzu aufs Neue formt, so gibt es auch dem Glas beständig eine neue Gestalt. Tina Oldknow sieht hier “einen Versuch, die Natur der geheimnisvollen und kraftvollen Gewalt von Wasser und seine Wirkung auf unserem Planeten zu verstehen“ (Oldknow 2009: 99. Palovás „hochexpressives Werk ist erfüllt von emotionaler Tiefe und intellektuellem Ernst“ (ebd: 98). Und dabei gleitet es weder ins Beschreibende oder Erzählerische ab, sondern eröffnet den Betrachtern mit einem hohen Abstraktionsgrad neue Assoziationsräume.
Uwe Claassen

Literatur:

Beata Balgavá und Titus M. Eliëns: Gedachten in Glas. Thinking in Glass. Vaclav Cigler and his school. Zwolle 2005. // Coburger Glaspreis 2006 für zeitgenössische Glaskunst in Europa. Kunstsammlungen der Veste Coburg. Hg. von Klaus Weschenfelder. Coburg 2006. // Keith Cummings: Contemporary Kiln-formed Glass. A World Survey. London, Philadelphia 2009. // European Glass Contetxt 2008. Bornholms Kunstmuseum 13.9.-19.10.2008. Hg. von Susanne Jøker Johnsen. Mit Beiträgen von Susanne Jøker Johnsen, Karen Lisa Salamon und Uta Klotz. Hasle, Bornholm 2008. // Glasschmuck / Glass Jewelry. Katalog der Wanderausstellung, zuerst Hanau 1992. Deutsches Goldschmiedehaus Hanau in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Goldschmiedekunst e.V. und der Galerie Borgward. Hanau 1992. // Jennifer Hawkins Opie: Contemporary International Glass. 60 Artists in the V & A. London 2004. // Dan Klein: Artists in Glass. Late Twentieth Century Masters in Glass. London 2001. // Dan Klein / Sabina Jankovičová: Zora Palová, Štěpán Pala. Bratislava 2007. // Uta Klotz: Glass & Architecture. Netherlands. Zora and Stepan Pala. In: Neues Glas 1/1997, 20-27. // Ivo Křen: Freedom to create. 24.8.2011 online gestellt. www.mzv.cz/telaviv/cz/kultura_a_krajane/archiv_akci/freedom_to_create.html [3.6.2019]. // Tina Oldknow: The 2008 Rakow Commission: Zora Palová. In: New Glass Review 30. The Corning Museum of Glass. Corning, NY 2009, 98-99. // Jarmila Răceková: Mystery of Discovered Space. Zeitgenössisches slowakisches Glas / contemporary Slovak Glass. In: Neues Glas 3/1998, 32-39. // Petra Reategui / Katarína Beňová / Miroslav Zeman: Slovakian Glass. In: Neues Glas 2/2016, 38-43. // Pavla Rossini: Zora Palová. Climate of Soul. In: Neues Glas 1/2018, 14-19. // Slovak Contemporary Glass. Hg. von der Galéria Nova, Katarína Beňová. Mit Beiträgen von Dan Klein, Katarína Beňová, Sabina Jankovičová, Miroslav Zeman. Bratislava 2008. // Jan Tůma: O čtyřech živlech a o skle jako hedváb – se Zorou Palovou. Glassrevue Fórum S – vydání 13/2002. www.glassrevue.com/news.asp@nid=853.html [21.4.2020]. // Venezia Aperto Vetro: International New Glass. Ed. by Attilia Dorigato and Dan Klein. With Essays by Dan Klein, Susanne K. Frantz, Sylvia Petrová, Helmut Ricke, Jean-Luc Olivié and Attilia Dorigato. Venedig 1996. // Verre Contemporain Slovaque 1960-2020. Musée du verre de Conches: Katalog zur Ausstellung 4.7.-20.9.2020. Mit Beiträgen von Éric Louet und Beáta Balgavá. Conches 2020. // Zorenie. Zora Palová. Katalog der Galéria Nedbalka. Mit Beiträgen von Xénia Lettrichová und Pavla Rossini. Bratislava 2018. Der Beitrag von Rossini ist in deutscher Übersetzung erschienen in Neues Glas 1/2018, 14-19.

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