BIOGRAPHIE

Stephen Rolfe Powell


Stephen Rolfe Powell (geb. 1951 in Birmingham, AL, USA – 2019) sagte über sich selber, dass er ein Pyromane sei. Er liebe den Arbeitsprozess am Schmelzofen, seine Unmittelbarkeit und Intensität, die mit ihm verbundene körperliche Herausforderung: Das Stück zu machen, sei für ihn die größte Sensation am Ganzen. Bekannt geworden ist Powell mit den teils über einen Meter hohen, leuchtend farbigen Gefäßobjekten seiner „Teaser“-Serie, die er in der antiken Murrinetechnik fertigte. Mit seinen Assistenten zog er zunächst mehrfarbige Glasstäbe, die segmentiert und zu Mosaiken ausgelegt wurden. Bei den großen Arbeiten konnten das bis zu 3.000 Elemente sein. Mit einer heißen Glasblase sind sie aufgenommen. Powell ging dann auf ein Podest, ließ die Pfeife nach unten hängen und das Glas sich bis zum Boden ziehen. So entstand ein langer, schlanker Hals. Am Boden befand sich eine vorgewärmte Metallplatte mit zwei oder mehr angeschweißten Metallstäben, zwischen denen er das Gefäß ausbließ und so in mehrere Bereiche weicher, sinnlicher Formen strukturierte. Die Titel sind meist dreiteilig und auf den ersten Blick etwas kurios: Ein Bestandteil ist ein weit verbreiteter Name wie „Smith“, „Jones“ oder „Johnson“. Mit den anderen Wörtern wird diese vorgebliche Person beschrieben, oft mit erotisch aufgeladenen Begriffen wie „cleavage“, „cheeks“, „buns“, „sigh“ oder „gasp“. So können die Gefäßobjekte als weibliche Torsi gedeutet werden.

Und dennoch liegt das mit diesen Arbeiten verbundene zentrale Anliegen an anderer Stelle: „In meiner Arbeit geht es am meisten um die Farbe“, sagte Powell. Nach einer Rucksackreise durch Europa zu Beginn der 1970er Jahre hatte er sein Psychologiestudium abgebrochen und war am Centre College, Danville, KY, zur Malerei gewechselt. Die Initialzündung war der Besuch einer Monet-Ausstellung in Paris. Vor allem die späten, fast schon abstrakten Seerosenbilder mit ihren flirrenden Farben hatten es ihm angetan. Ihn interessierte die Suche nach der Reinheit des Ausdrucks durch die pure Farbe. Powell orientierte sich an den abstrakten Expressionisten der New York School wie Jackson Pollock und Willem de Kooning und an der Farbfeldmalerei von Mark Rothko und Kenneth Noland: „nur Farbe, kein Thema, nicht-repräsentativ“, das war es, was ihn interessierte. Der Erfolg wollte sich beim jungen Maler zuerst nicht einstellen. In der dreidimensionalen, farbig glasierten Keramik sah er neue Perspektiven für seine Entwicklung und begann 1980 ein Keramik-Masterstudium an der Lousiana State University in Baton Rouge, LA. Hier lernte er fast schon dreißigjährig das Glas kennen. Mark Rothko war für Powell im Umgang mit der Farbe in der Malerei so weit gegangen, wie es nur möglich ist. Bei einem Besuch der Rothko Chapel in Houston, Texas, einem Meditationsraum für Menschen jeglichen Glaubens, der mit vierzehn monochromen Gemälden des Künstlers ausgestattet ist, wurde ihm aber die Unzulänglichkeit der Malerei bewusst, Gefühle durch Farbe zu vermitteln. Die Strahlkraft der Glasfarben erschien ihm nun als die logische Alternative, ein Effekt, der in mittelalterlichen Kirchenfenstern bereits zu Tragen kommt. Das Keramikstudium beendete Powell 1983 und ging als Keramiklehrer ans Centre College in Danville. Parallel entwickelte er seine handwerklichen Fähigkeiten im Glas durch die Teilnahme an Sommerkursen und Assistenztätigkeiten, an der Penland School of Crafts, NC, der Haystack Mountain School of Crafts, ME, am Summervail Workshop for Art and Critical Studies, CO, oder an der Pilchuck Glass School, WA. Am Centre College baute er bis 1985 ein Glasstudio und ein Unterrichtsprogramm auf, das er als Kunstprofessor viele Jahre leitete. Mit einem Team seiner besten Studenten realisierte er seine eigenen Arbeiten.
Uwe Claassen

Achilles-Stiftung