BIOGRAPHIE

Ingrid Račková / David Suchopárek


Ingrid Račková und David Suchopárek (geb. 1975 in Liptovský Mikuláš und 1973 in Rakovník, Tschechoslowakei) lernten sich während des Studiums an der Akademie der Künste, Architektur und Design in Prag kennen. Sie war zuvor von 1989 bis 1993 an der Schule für Angewandte Kunst und Bijouteriewaren in Jablonec nad Nisou und studierte seit 1993 in Prag in der Glasklasse von Vladimír Kopecký. Er war zunächst zwischen 1988 und 1992 an der Glasfachschule in Železný Brod und studierte dann in der Klasse für Glas in der Architektur bei Marian Karel. Beide wurden ein Paar und heiraten. Und auch in der kreativen Arbeit kamen sie zusammen. Ihre gemeinsam erstellten Designentwürfe laufen seit 2001 unter dem Label IRDS, den Initialen ihrer Namen. Seit einiger Zeit nutzen sie dieses Label auch für ihre Kunst, bzw. signieren sie mit beider Namen: die Gemälde auf Glas von Račková und die Glasskulpturen von Suchopárek. In einer e-mail erläutern sie: Einerseits sind es individuelle Arbeiten. Andererseits entspringen sie einer gemeinsamen Diskussionskultur. „In freier Diskussion teilen und überblicken wir den Fortschritt. Auf diese Weise kooperieren wir bei jeder Arbeit auf spezifische Weise. […] So arbeiten wir zusammen, haben aber verschiedene Fähigkeiten und Ideen, die den anderen bereichern“.

Während des Studiums hatten sich beide hauptsächlich auf künstlerische Themen konzentriert. Die Abschlussarbeiten 1999 waren bei Račková ganz in der Tradition ihres Lehrers Kopecký eine malerische Rauminstallation und bei Suchopárek eine Landart-Installation. Im Interview mit Marie Kohoutová (Kohoutová 2004: o.S.) berichten sie von ihren Überlegungen in der ersten Zeit nach dem Studium. Sie wollten gern aus ihrem Studienhintergrund heraus arbeiten. Formgeschmolzene Glasskulpturen, die damals führend waren, erschienen ihnen aber zu riskant: Sie sind in der Produktion sehr teuer und man weiß zu Anfang nicht, wie sie sich verkaufen lassen. Sie brauchten aber Geld für ihren Lebensunterhalt. Unterrichten, wie einige ihrer Kommilitonen, wollten sie auch nicht, weil es, wenn es ernsthaft betrieben wird, sehr viel Energie erfordert, die dann der eigenen künstlerischen Arbeit fehlt. Račková und Suchopárek kamen auf die Idee, es im Design zu versuchen. Sie besuchten alle tschechischen Glashütten, schauten, was sie machen und wer dort arbeitet. Sechs Hütten wählten sie aus, mit denen sie die Gespräche vertieften und dann hat etwas geklappt. Der erste Job war nicht gut bezahlt, aber sie konnten sich beweisen und die Basis für weitere Aufträge schaffen. Einige Jahre arbeiteten sie parallel frei für verschiedene Unternehmen: Für Železnobrodské sklo entwarfen sie mundgeblasenes und frei geformtes Hüttenglas, vor allem Vasen, für Desná dekorative Pressglasvasen mit Motiven nach der griechischen Antike, für Sahm maschinenproduzierte Trinkgläser, Ajeto realisierte die frechen verkehrsinspirierten Vasen „Stop & Go“ und „Michelin“.

Von großer Bedeutung wurde vor allem die Zusammenarbeit mit Moser in Karolvy Vary, einem der weltweit führenden Produzenten für hochwertigstes Kristall- und Farbglas. Račková und Suchopárek hatten sich mit der Zeit einen guten Namen als Designer aufgebaut und konnten so ihre Existenz sichern. Das gab ihnen die Möglichkeit, sich ganz auf die Zusammenarbeit mit Moser zu konzentrieren, und nebenher mehr Zeit für die Familie mitsamt Kindern und die individuelle künstlerische Arbeit zu finden. Erste formgeschmolzene Skulpturen wurden in der Moser-Galerie in Prag angeboten. Auch an Ausschreibungen für den öffentlichen Raum beteiligten sie sich. Für Moser entwickelten sie über die Jahre eine ganze Serie neuartiger monumentaler Vasen, die in limitierten Editionen produziert wurden. Mehrere einzeln gefertigte Vasenkörper in klar voneinander abgesetzten Farben sind dafür geschliffen und poliert worden, um dann zu einem großen neuen Körper durch Klebung zusammengesetzt zu werden. Die 80 bis 120 Zentimeter hohen Vasenobjekte mit Titeln wie „Fiorente“ (2010), „Etheric“, „Feature“ (beide 2012), „Par Excellence“ (2013) oder „Melody“ (2017) sprechen eine klare geometrische Sprache und dominieren in Form und Farbigkeit jeden Raum. Von 2005 bis 2018 reichte die Tätigkeit für Moser. Dann begann eine neue Phase. Račková und Suchopárek beendeten die Entwurfstätigkeit für andere Glasunternehmen. Mit den Vasen „Pompeji“ und „Virtue“ entwickelten sie zwar Design-Serien, die sie im eigenen Namen produzieren ließen. Viel wichtiger wurde aber die Konzentration auf die Kunst. Der Galerist Tom Stölting formuliert es so: „sie kehren jetzt radikal zur Verwirklichung ihrer künstlerischen Arbeit zurück“ (Stölting 2017: o.S.).

Drei Linien prägen die aktuelle künstlerische Arbeit von Ingrid Račková und David Suchopárek. Da sind zum einen die abstrakten Gemälde auf Glas, das vor der Bemalung bisweilen noch graviert wurde. In ihnen stehen mal wild wuchernde, mal eher nebelhafte Farbschlieren im Kontrast zu klaren geometrischen Formen und parallel verlaufenden, gravierten oder gemalten Linien. Bei ihnen sind die optischen und ästhetischen Eigenschaften des Glases nur zweitrangig. Das Glas ist als Maluntergrund genutzt, so wie andere Maler Leinwand einsetzen (Petr Nový in Broft 2019: o.S.).

Die Skulpturen bilden zwei unterschiedliche Linien. Formgeschmolzene Arbeiten, handgeschliffen, poliert und partiell mattiert, stellen eine Verbindung aus geometrischen und organischen Formen dar. Es ist, als wenn man über einen Strand geht, eine Hand voll Sand greift und kleinste Fragmente von Muscheln entdeckt: Spiralen, spitz zulaufende Kegel, gewellte Wandfragmente, dünn und spitz auslaufend oder mit Verdickungen, die das gewachsene Baugerüst einst stabilisierten. Manchmal bricht so ein Element in der Hand auseinander und die zusammengehörigen Fragmente liegen leicht verschoben nebeneinander. Immer wieder entsteht dann ein ungläubiges Staunen über diese natürlich, organisch gewachsene Geometrie, deren Auflösung man gerade betrachtet. Solche Formen, weiter abstrahiert, stark vergrößert und mal in gedeckte, mal in grell bunte Farben überführt, deren Intensität mit der Wandstärke changiert, scheinen diese Arbeiten inspiriert zu haben. Wie bei den Gemälden auf Glas stehen weiche, tastende Elemente formal im Kontrast zu scharfkantiger Geometrie.

Ganz anders erscheinen die „Pyramiden“ und die von ihnen abgeleiteten Skulpturen: Steil nach oben strebende Elemente, die auf der klaren geometrischen Form des Tetraeders beruhen und die aus jeweils einer klaren Farbe aus nahezu blasenfreiem optischen Glas formgeschmolzen sind, sind gebirgsartig oder in Art facettierter Edelsteine miteinander verklebt. Innerhalb jedes Elements gibt es einen Farbverlauf, der von Lichthell in der Spitze und an den Kanten bis zu tieferen Tönen desselben Farbwerts an den größeren Durchmessern reicht. Da, wo die einzelnen Elemente einer Skulptur sich überlappen, wird diese Farbtiefe bis ins Dunkle gesteigert oder es entsteht durch die Mischung zweier Primärfarben eine Sekundärfarbe. Diese Arbeiten sind ein wahres Fest der Farbigkeit. Die Titel beziehen sich denn auch meist auf die Farbe, z.B. „Blue Pyramid“ und „Blueviolet“ (beide 2019), oder sie sprechen ein Thema an, dass dann allerdings auch oft wieder auf Farbe verweist: „Pacific“ (2017) auf die Farbigkeit dieses Ozeans und „Cézanne“ (2019) auf die im farblosen Licht enthaltenen Spektralfarben, die die Impressionisten zur Basis ihrer Malerei machten. „Each Other“ (2017) verweist mit seinem Kontrast von Rot und Grau darauf, wie zwei sich unterscheidende, aber unterstützende Elemente ein neues Ganzes bilden, so wie in der Zusammenarbeit von Račková und Suchopárek. Die Arbeiten sind bis ins letzte Detail durchdacht und handwerklich perfekt umgesetzt. „Alle optischen Effekte des Glases sind hier vollständig genutzt und die gewählten Farbkombinationen machen jede dieser archetypischen Formen einzigartig“ (Petr Novy in Broft 2019: o.S.).

In einem Interview nach ihren Zielen im Glas gefragt, antworteten Račková und Suchopárek: „Wir arbeiten langfristig, wir entwickeln uns, wir suchen nach möglichen Grenzen und hoffen demütig durchzuhalten, uns weiterhin zu verbessern und zu entwickeln“ (Fresh from Moser Magazine 2012: 16). Was das bedeutet, ist an den Pyramiden gut ablesbar. Bereits während seines Studiums in den 1990er Jahren beschäftigte David Suchopárek sich mit dieser Form. Eine 7 Meter hohe Rauminstallation aus altem Bauholz, Draht und Flachglas trägt den Titel „Pyramid“ (abgebildet in Patrová 2001: 201). 2009 entstanden „Rotating Pyramids“ aus formgeschmolzenem Glas (Foto auf der Website der Künstler). In die Pyramiden der aktuellen künstlerischen Produktion sind die Erfahrungen der monumentalen geklebten Vasen für Moser eingegangen. Was bedeutet den Künstlern die Geometrie, vor allem die der Pyramiden? Für Ingrid Račková und David Suchopárek ist es ein Weg ihres Selbstausdrucks. Mit ihrer Kunst „suchen sie die Essenz der Dinge und der mit ihnen verbundenen Prozesse. Wir haben angefangen, mit unsichtbaren Positionen, mit Dimensionen wie Gefühlen oder Beziehungen zu arbeiten. So kam dieser Ausdruck [der Geometrie] zu uns und erschien uns ganz natürlich. Wenn wir Gedanken, Gefühle, Eigenschaften und Prozesse materialisieren wollen, die im Wesentlichen nur in den Köpfen der Menschen existieren, müssen wir alle ablenkenden realistischen Assoziationen entfernen, die die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. […] Unser Ziel ist, nach der passendsten Formulierung eines spezifischen Gedankens und einer ausgewogenen harmonischen Darstellung zu suchen. Obwohl wir mit präziser Geometrie arbeiten, gehen wir hauptsächlich intuitiv vor“ (e-mail der Künstler vom 22.6.2020).
Uwe Claassen

Literatur:


Broft Gallery:
Ingrid Račková & David Suchopárek. Mit einem Beitrag von Petr Nový (abrufbar unter: www.irds.cz/about/ [22.7.2020]). Leerdam, NL, o.J. [2019]. // Zdeněk Freisleben: Design IRDS. In: Keramika a sklo 6/2004, 24-26. // Milan Hlaveš: IRDS. In: Ateliér 1/2005, 12, 15. // Fresh from Moser Magazine: Interview with Designers Ingrid Račková a David Suchopárek (Studio IRDS). Spring 2012, 16-18. www.issuu.com/kantorscreativeclub/docs/fresh_from_moser_01_2012 [22.7.2020]. // Fresh from Moser Magazine: Interview with Designers Ingrid Račková a David Suchopárek. Spring 2012, 17. www.issuu.com/kantorscreativeclub/docs/fresh_from_moser_spring_2013 [22.7.2020]. // Marie Kohoutová: Mistr a tovaryš – dvojité proč a časově šibeniční rozcvičky Ingrid Račkové a Davida Suchopárka. In: Glassrevue Forum S – 31/2004. www.glassrevue.com/news.asp@nid=3374.html [22.7.2020]. // Moser Art Gallery: Ingrid Račková a David Suchopárek, IRDS. Zušlechtěný Živel [Raffinierte Elemente]. 16 April-30 June 2013. Prag 2013. // Sylva Petrová: Czech Glass. Prag 2001. (Überarbeitete und ergänzte Neuauflage 2018). // Glasgalerie Stölting: Ingrid Račková & David Suchopárek – Ways of Confluence. September 2017-December 2017. www.glassart.de/ingrid-rackova-david-suchoparek-ways-of-confluence/ [22.7.2020].

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