BIOGRAPHIE

René Roubíček


René Roubíček (geb. 1922 in Prag, Tschechoslowakei – 2018) hat sich schon in der Jugend mit großem Talent für künstlerisch-musische Themen interessiert. Wie er selber sagte, ist er wegen Hitler ins Glas gekommen. Eigentlich wollte er Malerei studieren, aber die Akademie der Bildenden Künste in Prag war nach der Besetzung des Landes durch die deutsche Wehrmacht im März 1939 wie fast alle Hochschulen geschlossen worden. Auf die Empfehlung eines Lehrers ging er an die noch geöffnete Kunstgewerbeschule Prag in die Klasse für Monumental- und Glasmalerei von Jaroslav Holeček, wo er von 1940 bis 1944 studierte. Hier traf Roubíček auf zahlreiche andere junge Künstler, die ebenfalls anstelle eines Studiums der bildenden Künste in den angewandten Künsten gelandet waren. So wurde Holečeks Klasse zu einer Keimzelle für die Erneuerung des tschechoslowakischen Glases. Als nach dem Krieg die deutschstämmigen Einwohner aus Böhmen ausgewiesen wurden, mussten zahlreiche Dozentenstellen an den Glasfachschulen neu besetzt werden. Nun waren es überwiegend Holečeks Schüler, die in diese Positionen kamen. René Roubíček wurde 1945 Leiter der Abteilung Glasschnitt an der Schule in Kamenický Šenov.

Bereits als Student hatten Roubíček die skulpturalen Möglichkeiten der Gefäßgestaltung interessiert. Mit dem Glasschnitt griff er eine in Böhmen tief verwurzelte dekorative Technik auf. Durch die Verbindung von Elementen des Realismus und der kubistischen Abstraktion streifte er die überkommenen Vorstellungen ab und fand einen sehr persönlichen, eigenständigen Zugriff. Ein früher Höhepunkt dieser Arbeit ist die Vase „Antonín Dvořák“ von 1946, die in den Werkstätten der Glasfachschule ausgeführt wurde. Zwar ist sie noch ein Funktionsgegenstand, aber gleichzeitig auch ein wichtiger Schritt in Richtung der eigenwertigen plastischen Gestaltung, der Roubíčeks Interesse galt. Mit seinem Ansatz wurde er „die alles überragende Gestalt“ an der Glasfachschule Kamenický Šenov und bestimmend für ihre künstlerische Entfaltung, wie Antonin Langhamer anmerkte. Parallel zu seiner Lehrtätigkeit studierte Roubíček noch einmal. An der Hochschule für Angewandte Kunst in Prag besuchte er 1949 bis 1950 die Klasse von Josef Kaplický (1899–1962), einer weiteren prägenden Persönlichkeit, die künstlerische Zugänge ins Glas förderte. Nahezu alle Gestalter, die an der Erneuerung des tschechoslowakischen Glases in den 1950er und 60er Jahren beteiligt waren, haben seine Klasse durchlaufen.

Als die Glasfachschule Kamenický Šenov 1952 aufgrund politischer Entscheidungen vorübergehend geschlossen wurde, ging Roubíček in die Industrie und wurde von 1955 bis 1965 leitender Designer im Staatsunternehmen Borské sklo (Crystalex) in Nový Bor. Hier wechselte er vom Glasschnitt in die Verarbeitung von heißem Glas. Neben seinen Leitungsfunktionen entwarf er in größeren Stückzahlen produzierte Gebrauchsobjekte wie z.B. Vasen und hatte Gelegenheit, in Zusammenarbeit mit Mitarbeitern der Glashütte Unikate zu realisieren. Dabei entstand eine langjährige Zusammenarbeit mit dem Glasbläser Josef Rozinek. Roubíček nahm an den großen internationalen Ausstellungen teil, mit denen das tschechoslowakische Glas und auch er selbst mit seinen eigenen Arbeiten seit dem Ende der 1950er Jahre großes Aufsehen erregten. Seinen Durchbruch erzielte Roubíček auf der Weltausstellung 1958 in Brüssel. Unter dem Titel „Glas. Masse – Form – Ausdruck“ präsentierte er eine Hommage auf das Glas und seine Möglichkeiten: In eine Konstruktion aus Metallstreben waren teils geblasene und teils gegossene Objekte montiert, die den Weg des Glases vom rohen Werkstoff bis hin zum fertigen Produkt aufzeigten. In der Rückschau erscheint diese räumlich ausgreifende Arbeit als eine Installation, mit der Roubíček die Grenze zwischen angewandter und bildender Kunst überschritt, ähnlich wie das Paar Libenský/Brychtová auf der gleichen Ausstellung mit formgeschmolzenen Skulpturen. Glas ist hier kein Material mehr für industriell produzierte Funktionsgegenstände oder dekorative Objekte, sondern wird durch eine neue Materialauffassung zu einem künstlerischen Medium und individuellen Ausdrucksmittel für die Erschaffung autonomer Kunstwerke. Roubíček selbst spricht von einer „abstrakten Skulptur“, der er bei einem variierenden Aufbau 1960 in Prag den Titel „Glas – Eine zeitgenössische Kunst“ gab.

Zur gleichen Zeit entstanden zahlreiche abstrakte Plastiken, die der Grundform folgen, die heißes Glas beim Blasen einnimmt: der Kugel. Kleine Kugeln sind auf große gesetzt. Sie stehen zum Teil auf langen Beinen oder sie sind zu langen Fühlern gezogen. Die Gestaltung erfordert, völlig entgegengesetzt zum venezianischen oder skandinavischen Glas, keine aufwendigen Techniken, sondern folgt den physikalischen Eigenschaften des heißen, zähflüssigen Glases. Roubíček beschreibt die Entstehung so, „dass das Glas von selbst das tat, wozu es fähig war“ und er ein glücklicher Zeuge wurde, wie es Wunder vollbrachte: „Das Glas erschafft sich selbst.“ Um mit den Installationen und diesen Plastiken nicht in die Strudel der Formalismusdebatte zu geraten, in der abstrakte Kunst als westliche Dekadenz abgelehnt wurde, gab Roubíček ihnen Titel mit nachvollziehbaren Themen wie z.B. „Baum der tschechoslowakischen Glasindustrie“ für die Installation, die er für eine Ausstellung 1959 in Moskau errichtet hatte und bezeichnete sie als „Dekorative Skulpturen“, denn die angewandten, dekorativen Künste standen nicht unter so starker Beobachtung wie die Malerei und Bildhauerei. Zum Teil gaben sogar staatliche Funktionäre Roubíčeks Arbeiten Titel wie „Sputnik“, „Marsbewohner“ oder „Schreitender Kohlrabi“, um ihnen eine vorgeblich Bedeutung im Zusammenhang mit der damaligen Weltraumbegeisterung oder der tschechischen Märchenwelt zu geben.

Zu Beginn der 1960er Jahre entwarf Roubíček Vasenobjekte, bei denen er das Fließen des flüssigen Glases ausnutzte. Sie wirken wie kleine Wasserfälle. Aus ihnen entwickelte er für die Kunstbiennale 1965 in São Paulo, Brasilien, und die Weltausstellung 1967 in Montreal, Kanada, mehrere Meter hohe säulenartige Skulpturen, die aus zahlreichen, an Metallstreben montierten Einzelsegmenten bestanden. Mit ihnen wurde deutlich, dass sich die Glasplastik als Kunstform nun auch gegenüber der Architektur als eigenwertig emanzipiert hatte. Und René Roubíček war einer der herausragenden Vertreter dieser neuen Kunst. Als 1966 an der Akademie der Bildenden Künste in Prag ein Glasstudio eingerichtet wurde, ernannte man ihn zu seinem Leiter. Doch schon 1968 wurde das Studio nach der Niederschlagung des Prager Frühlings auf politischen Druck hin wieder geschlossen und Roubíček etablierte sich als freier Künstler. Mit ihren Hauptbeiträgen für den tschechoslowakischen Pavillion der Weltausstellung 1970 in Osaka kritisierten Roubíček und Libenský/Brychtová die politischen Ereignisse in ihrem Heimatland, wofür sie mit einem Ausstellungsverbot belegt wurden. Roubíček verlegte sich zunächst vermehrt auf architekturbezogene Arbeiten, Kronleuchter für Hotels und öffentliche Gebäude sowie auf Entwürfe für Glashütten. Für das Glaswerk Škrdlovice entwarf er 1971 z.B. Vasenobjekte, die aus mehreren einzeln vorbereiteten und miteinander verschmolzenen Segmenten bestehen. Auch ihnen ist anhand ihrer weichen Formen die Entstehung aus der flüssigen Glasmasse anzusehen.

Auf dem ersten Coburger Glaspreis für moderne Glasgestaltung in Europa 1977 präsentierten René Roubíček und seine Frau, die ebenfalls bedeutende Glaskünstlerin Miluše Roubíčková, jeweils Serien von Köpfen. Beide arbeiten, seit sie sich während des Studiums bei Josef Kaplický kennengelernt hatten, eng zusammen, prägten aber doch jeweils eigene künstlerische Profile aus. In den folgenden Jahrzehnten gelang es Roubíček immer wieder, neue Themen für seine Kunst zu erschließen und neue Formen dafür zu entwickeln. Hervorzuheben sind vor allem seine „Frauen-Teile“, die „Klarinetten“, die „Bücher“ der Kunststile, die „Säulen“, seine nicht-figurativen Tänzer und die laminierten Flachglasarbeiten der Jahre um den Milleniumswechsel. Auf dem vierten Coburger Glaspreis 2014 wurde dem mittlerweile über 90 Jahre alten Künstler ein Sonderpreis verliehen, weil es ihm mit der aktuellen Arbeit immer noch gelingt, „frische, konzeptionell ausgefeilte Installationen“ zu erschaffen, anstatt ältere, etablierte Werke zu wiederholen.

Über die Jahrzehnte ist hier ein Lebenswerk entstanden, das die Entwicklungen im internationalen Glas und seine Etablierung als künstlerisches Medium mit vorangetrieben hat und sie spiegelt: Wie „die Unterschiede zwischen funktionellen und künstlerischen Objekten, zwischen intellektueller Kontrolle und subjektiven Bedürfnissen, zwischen dem Ornament als traditionell häuslichem Objekt und als freistehende Skulptur immer mehr verwischten, so dass sie kaum mehr von Relevanz sind“, wie Michael Robinson schrieb. Roubíček ist dabei immer wieder das Schwerste gelungen: Er fand einfache Ideen und die einfachsten Wege, sie zu realisieren. Als Inspirationsquelle nutzte er oft die grundlegenden physikalischen Eigenschaften des flüssigen Glases. In Roubíčeks eigenen Worten klingt das ebenfalls ganz einfach: „Ich habe dem Glas seine Freiheit gelassen.” Helmut Ricke fasst zusammen: “Das Lebenswerk von René Roubíček und seiner Frau Miluše ist von großer Leichtigkeit und Musikalität getragen. Ihre kraftvolle Skulptur weckt und verdient gerade deshalb unsere Sympathie und Bewunderung […], weil sie sich nie allzu ernst nimmt und stets ironischen Brechungen und humorvollen Wendungen Raum gibt.“
Uwe Claassen

Skulptur: Vase

Achilles-Stiftung