BIOGRAPHIE

Gizela Šabóková


Gizela Šabóková (geb. 1952 in Nové Zámky, Tschechoslowakei) kam nach einer Lehre als Glasschleiferin von 1967 bis 1969 bei Český Křištál in Chlum u Třebone und einer Vertiefung dieser Tätigkeit an der Glasfachschule in Železný Brod zwischen 1969 und 1973 nach Prag in die die Glasgestalterklasse von Stanislav Libenský an der Hochschule für Angewandte Kunst. Das Schleifen von optischem Glas war zu dieser Zeit die führende Technik für die künstlerische Arbeit mit Glas. Im Umfeld von Libenskýs Schülern entstanden nun aber auch Gegenbewegungen. Und Gizela Šabóková gehörte zu den ersten, die nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten suchten. Sie entwickelte innovative Wege für die seit den 1960er Jahren als ausgereizt geltende Glasmalerei, experimentierte mit Formschmelztechniken und entwarf in den 1980er Jahren gemeinsam mit Jaromír Rybák architekturbezogene Arbeiten wie Beleuchtungen und Fenster.

In den 1980er Jahren, gleich nach Abschluss ihres Studiums, wurde Šabókovás vor allem als Malerin wahrgenommen. In ihren Glasbildern orientierte sich nicht mehr an dekorativer Schönlinigkeit oder dem Bezug auf abstrakt-expressive Malerei. Stattdessen wurde der Mensch ihr Thema. In einer spontan-intuitiven Malweise schuf sie skizzenhaft abstrahierte Figuren, die sie zu Symbolen des Menschlichen verdichtete. Sylva Petrová bescheinigt ihr die “geniale Fähigkeit, rudimentär zu sein und dabei die gestalterische und gleichzeitig psychologische Dimension des Themas intelligent auszuloten”. Mit Witz und Humor hinterfragt Šabóková in diesen Bildern die Abgründe menschlichen Verhaltens und Empfindens. Gleichzeitig experimentierte sie damit, malerische Elemente und Formschmelzverfahren, Malerei und Skulptur, miteinander zu verbinden. Zahlreiche Stelen entstanden, für die sie geschliffene und bemalte Segmente miteinander verschmolz und so das Innere gestaltete. Die Themen waren bei diesen Arbeiten abstrakter, als bei den Bildern: In farblosem Glas sich bewegende Farben und Blasenbildungen balancierte sie zu freien Kompositionen aus.

Skulptur und figürlich-abstrakte Themen brachte Šabóková ab dem Ende der 1980er Jahre höchst eindringlich mit ihrer “Langbeiner”-Serie zusammen, für die sie zahlreiche internationale Auszeichnungen erhielt. Dafür stellte sie Farbglasstäbe von unterschiedlicher Länge in vorbereitete Formen. Während des Schmelzprozesses verbanden sich die Stäbe innerhalb der Form zu einem Block, aus dem überstehende Stabenden herausragen. Auf diese Enden gestellt entstanden Skulpturen, deren schwerer, massiver Korpus von stämmigen, unbeholfenen oder filigranen Beinen auf unterschiedlichste Weise ausbalanciert wird. “Balance” ist vielleicht der wichtigste Zugang zum Werk von Gizela Šabóková. In ihren Arbeiten sieht sie Parabeln für die menschliche Existenz, für die Freude und Last, die jeder einzelne zu tragen und auszubalancieren hat, mal mühsam und mal leicht, mal bizarr und mal voll Humor. Ihr Arbeiten seien ein Ausdruck ihrer Gefühle und Träume, Ihrer Ängste und Sorgen. Sie seien ihre Waffen und Alliierten, die sie manchmal retten und die sie manchmal fortschicke, um für sie zu kämpfen: “Nur durch mein Werk bin ich in der Lage, mich davon zu befreien.”

Nach dem Jahr 2000 ging Šabóková immer mehr dazu über, die figurativen Themen ihrer frühen Glasbilder, die inneren Spannungen, die im alltäglichen Existenzkampf jeder mit sich selbst und seiner Umwelt führt, skulptural in formgeschmolzenen Arbeiten auszuführen. Das “Paarsein” kehrt immer wieder, das “Frausein”, genauso wie “Engel” und “Dämonen”. Die mentale und physische Schwere der Arbeit an diesen menschlichen Archetypen ist den Skulpturen anzusehen: Sie wirken wie Schicht für Schicht aus großen Glasblöcken halb herausgeschält oder stehen als Torso vor den Betrachtern. Das opake Glas absorbiert das Licht. Für Šabóková ist es wichtig, das Licht im Glas zu halten. Nur an Kanten und dort, wo es dünn wird, entsteht ein tiefgründiges Schimmern. Es verweist auf die Tiefe und Unergründlichkeit der menschlichen Seele und verleiht den geschundenen Gestalten Würde und damit Balance.
Uwe Claassen

Achilles-Stiftung