BIOGRAPHIE

Ivana Šrámková


Ivana Šrámková (geb. 1960 in Liberec, Tschechoslowakei) wechselte nach einer Ausbildung an der Glasfachschule Želesný Brod an die Hochschule für Angewandte Kunst nach Prag, wo sie von 1981 bis 1987 unter Stanislav Libenský studierte. Sie gehörte zur letzten Glasklasse von Libenský, bevor dieser die Hochschule 1987 verließ. Die Klasse hat einen legendären Ruf, weil ihre Schüler die Überwindung der in den 1970er Jahren dominierenden kühlen Ästhetik abstrakt-geometrischer Konstruktionen geschliffenen optischen Glases maßgeblich vorangetrieben haben. Sylva Petrová beschrieb Šrámková 2013 als eine treibende Kraft in diesem Prozess. Auf der Suche nach einer eigenen künstlerischen Sprache rebellierte sie gegen nahezu alles, gegen Moralvorstellungen, falsche Autoritäten und überkommene Traditionen. Weil sie die glänzend-schimmernde Schönheit des Glases meiden wollte, begann sie formgeblasene Hohlgläser zu bemalen, eine Arbeitsweise, die seit den 1960er Jahren als ausgereizt galt. In ihrer Malerei und Formgebung orientierte sie sich am international aufkommenden figürlichen Neo-Expressionismus. Aufsehen erregten ihre „Autos“ aus der Mitte der 1980er Jahre, groteske Skulpturen, die Geschlechter- und Familienbilder ironisieren.

Mit solchen Arbeiten brachte Šrámková etwas völlig Neues in das Glas der ČSSR, das es vorher nicht gegeben hatte: Humor, Fröhlichkeit, ein vergnügliches, freches Spiel mit Formen, Farben und Gedanken. Nicht im Spiel mit attraktiven Materialeigenschaften, sondern im Formulieren von Gedanken, von Inhalten sieht Šrámková den wesentlichen Sinn ihrer Kunst. Das gilt auch für ihre gegossenen und formgeschmolzenen Skulpturen, die zwischen realistischer Abbildung und geometrischer Abstraktion vermitteln. Menschen und Tiere sind ihre wesentlichen Motive. Ihre Gestalt führt sie auf einfachste Formen zurück, reduziert sie auf das absolut Wesentliche. Das Resultat sind symbolhafte Archetypen, die in sich ruhend Würde und monumentale Größe ausstrahlen, gleichzeitig aber durch überzeichnete Glieder oder Attribute einen ironisch-humorvollen Kern besitzen. Die einfarbigen Skulpturen mit ihren häufig mattierten Oberflächen fangen das Licht ein und geben es wie ein inneres Leuchten wieder ab. Zu dem augenzwinkernden Hinterfragen der Gestalten gesellt sich so bisweilen ein magisch-spiritueller Zug.

Es verwundert nicht, dass Šrámková die Kunst antiker Kulturen und indigener Völker vor allem Afrikas mit ihrem okkultistischen Charakter als Inspirationsquelle nennt. Den Beginn ihres Interesses an dieser Kunst vermutet sie aber in der nordböhmischen Heimat ihrer Kindheit: Ihr Großvater, ein Dorfarzt, dokumentierte über viele Jahre die Volkskunst der Region und nahm sein Enkelkind oft mit auf seine Expeditionen. Šrámkovás Serie von Tierfiguren, bei denen die massiven Skulpturen mit Perlenschnüren verbunden sind, zeigen geradezu kaleidoskopartig die Wechselwirkungen zwischen dem Eigenen und dem Fremden auf: Böhmische Glasperlen kamen in der frühen Neuzeit mit den europäischen Kolonisatoren als Handelsware nach Afrika, wo sie neue Bedeutungen erhielten. Und nun kommen sie mit den einfachen Formen indigener Stammeskunst zurück in unsere Gegenwart. So intellektuell das auch klingt, in einem Credo formuliert Šrámková auf ihrer Website den intuitiven Charakter ihrer Kunst: „Unabhängig von der Form meine ich, dass die wichtigsten Eigenschaften eines Künstlers seine innere Eindringlichkeit, Menschlichkeit, die Kraft seiner Persönlichkeit und vielleicht auch eine gewisse Art ‘göttlicher Gnade’ sind. … Die Arbeit soll frei fließen und zufrieden machen, und der Künstler sollte sich auf die Ergebnisse freuen, ohne sich zuvor in Strategien zu ergehen oder berechnend zu sein, während er alles gibt.“
Uwe Claassen

Achilles-Stiftung