BIOGRAPHIE

Jiří Šuhájek


Jiří Šuhájek (geb. 1943 in Pardubice, Tschechoslowakei) arbeitet mit mundgeblasenem Glas. Bekannt ist er für seine enormen Formate von stilisierten Tieren, Pflanzen und weiblichen Torsi, die überlebensgroß in einem Stück gefertigt sind. Damit stößt er in absolute Grenzbereiche des technisch Machbaren vor. Den groß gewachsenen Künstler bei der Arbeit am Ofen zu erleben ist ein spektakuläres Ereignis. Der Glasposten an der Glasmacherpfeife wird wiederholt in den Hafen getaucht, um neues Glas aufzunehmen. Ist er groß genug, wird die Pfeife in einem großem Bogen hin und her geschwenkt, um das Glas durch Fliehkräfte in die Länge zu bringen. Durch diesen Hebel vervielfacht sich die Kraft des Gewichts auf 50 und mehr Kilo, die bewältigt werden müssen. Immer weiter wird der Posten aufgeblasen. Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem Šuhájek auf einem Podest stehen muss, damit die Arbeit nicht auf dem Boden aufschlägt. Und dann benötigt er auch die Hilfe erfahrener Glasbläser. Wie in einer einstudierten Choreographie bewegen sich alle rund um die entstehende Skulptur. Das Werkstück muss immer wieder verwärmt werden, denn der Temperaturbereich, in dem das Glas formbar ist, ist nur klein und schnell unterschritten. Mit verschiedenen Werkzeugen wird das Glas gehalten, gedrückt und gezogen und in nur Sekunden dauernden Zeitfenstern geformt. Weitere Glasposten werden angereicht und verarbeitet. Geschwindigkeit, Timing und Präzision sind dabei unabdingbar. Spontanität ist wichtig – aber auch klare Vorstellungen von dem, was entstehen soll, denn Fehler können meist nicht korrigiert werden. Diese Arbeit ist für Šuhájek ein Thriller, eine lebendige Schöpfung, die aus dem Dialog mit dem Material heraus entsteht. “Ich fühle, dass die Arbeit mit der Glasmacherpfeife für mich vorherbestimmt war”, so Šuhájek. Der beeindruckenden Wirkung dieses Arbeitsprozesses ist er sich durchaus bewusst: Er ist ein geborener Show-Mensch, der es liebt, vor Publikum zu performen.

Bei so viel Enthusiasmus mutet es etwas kurios an, dass es einiger Zufälle bedufte, Šuhájek auf diesen Weg zu bringen. Nach der Schule wusste er nicht so recht, was er machen sollte. Da kam es gelegen, dass die traditionsreiche Glasfachschule in Kamenický Šenov nach einer kurzen, politisch bedingten Schließung gerade wiedereröffnet wurde. Šuhájek bewarb sich und wurde angenommen. Sein Zeichentalent führte ihn von 1957 bis 1961 in die Abteilung Glasmalerei und nach seinem Abschluss auf Vermittlung der Schule nach Karlovy Vary zu Karlovaske sklo (Moser), wo er als Zeichner arbeitete. Zuerst war er über diesen Weg gar nicht glücklich, erkannte aber sehr schnell die Möglichkeiten, die ihm durch die alte und traditionsreiche Firma mit all ihren Werkstätten und vor allem ihren berühmten Glasfarben zuwuchsen. Privat vertiefte er das Zeichnen und erhielt 1964, nach der bestandenen Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Angewandte Kunst in Prag, ein Stipendium seines Arbeitgebers. Das Studium bei Stanislav Libenský bis 1968 empfand Šuhájek als zu akademisch: sehr viel Theorie, dazu Zeichnen und Malen, aber nur wenig direkte Arbeit mit dem Glas. Ein weiterer Zufall führte ihn dann in eine ganz andere Welt: 1968, auf dem Höhepunkt des Prager Frühlings war er in den Semesterferien nach London gereist. Nach dem Einmarsch der Armeen des Warschauer Paktes in der Tschechoslowakei begegnete ihm dort viel Sympathie. Durch das Angebot eines Stipendiums wurde es ihm möglich, drei Jahre lang am Royal College of Art zu studieren. Diese einmalige Chance ergriff Šuhájek. Zunächst besuchte er das Atelier für Keramik und Glas bei David Queensbury. Zunehmend wurde er aber von einem Studioofen angezogen, an dem Samuel J. Herman angehende Künstler mit der Arbeit mit heißem Glas vertraut machte. Šuhájek wechselte die Studienrichtung und erlernte an der Kunsthochschule das Glasblasen. Für sein tschechoslowakisches Umfeld war das absolut ungewöhnlich. Glasbläser war hier ein Lehrberuf, der Menschen qualifizieren sollte, die Entwürfe studierter Gestalter umzusetzen, auch deren Autorenwerke. Für Šuhájek ist es jedoch wie bei den amerikanischen Studioglaskünstlern wichtig geworden, diese Arbeit selbst auszuführen, da er die ästhetischen Grundlagen seiner Kunst aus den natürlichen Eigenschaften des heißen, formbaren Glases entwickelt. Nach seinem Abschluss mit Diplom realisierte er 1971 noch kurze Arbeitsaufenthalte bei Venini in Venedig, an der Rietveld-Akademie in Amsterdam und am College of Applied Art in Edinburgh. Dann kehrte er für viele überraschend in die ČSSR zurück. Šuhájek sieht sich als eher unpolitischen Mensch, der niemals dauerhaft auswandern wollte und nun zu seiner Familie zurückkehrte.

Zurück in der Heimat setzte Šuhájek seine in London begonnene künstlerische Arbeit fort. Gekennzeichnet sind seine plastischen Werke vor allem durch eine Stilisierung und Abstraktion mit runden, weichen Formen, wie sie sich durch die natürlichen Bedingungen der Verarbeitung des heißen Glases geradezu anbieten. Viele Skulpturen sind teilweise mit Goldfarbe bemalt oder von Innen verspiegelt. Zuerst fand er zu phantastisch-märchenhaften Tier- und Pflanzengestalten. Mitte der 1970er Jahre wurden die Arbeiten monumentaler und als ein neues Thema kam der humorvoll bis lasziv posierende weibliche Körper in Form des Torsos hinzu, den er bis zu überlebensgroßen Formaten entwickelte. Seit Mitte der 1980er Jahre bezog Šuhájek mehrere solcher Figuren aufeinander und fand so zu Rauminstallationen. Bereits 1989, vor allem aber nach dem Jahr 2000 entstanden Großskulpturen für den öffentlichen Raum und Hotellobbies. Zum Teil bestehen die bis zu vier Meter hohen Plastiken aus hunderten von in Metallrahmen montierten gläsernen Einzelteilen. Themen sind Torwächtern ähnliche Phantasiegestalten, die die vier Jahreszeiten darstellen, Samurai und Roboter sowie vegetabile Motive wie Blumen oder ein “Brennender Busch”.

Parallel hat sich Šuhájek ebenfalls einen Namen als Maler und Graphiker gemacht. Und auch seine kontinuierliche und höchst erfolgreiche Tätigkeit als Glasdesigner für bedeutende Unternehmen wie Moser in Karlovy Vary sieht er als natürlichen Bestandteil seines freien Schaffens, das die eigene Innenwelt repräsentiere, wie Jana Volfová anmerkte. Kennzeichen seiner Designsprache für Klein- und Großserien funktionaler Gebrauchsobjekte sind ausdrucksstarke Kontraste von Formen und Farben. Satte Farbflecken und lebendige Linien wie zum Beispiel bei seinen Kastenvasen von 2005 haben eine malerische Qualität. Miroslav Klivar sieht das Werk Jiří Šuhájeks weniger im Zusammenhang mit expressionistischen Kunstströmungen des 20. Jahrhunderts, sondern vielmehr als den visuellen Ausdruck poetischer Träumereien und metaphorischer Visionen: Seine Themen sind Weiblichkeit, Fruchtbarkeit, Menschlichkeit, Schönheit, Liebe, Natur und Zärtlichkeit. Mit seinen Arbeiten suche Šuhájek nicht nach klaren Definitionen, sondern finde durch deren metaphorische Mehrdeutigkeit und die transparenten und fragilen Eigenschaften seines Materials Glas zu einem Stück kosmischer Leichtigkeit.
Uwe Claassen

Achilles-Stiftung