BIOGRAPHIE

Venini & C.


Venini & C. (gegründet 1925 in Venedig, Italien) zählt zu den bedeutenden Glasunternehmen des 20 Jahrhunderts, nicht nur in Venedig, sondern weltweit. Zu Beginn dieses Jahrhunderts gefielen sich die Muraneser Glasmacher vor allem in der Pflege der übergroßen, jahrhundertealten Tradition. Perfekte handwerkliche Fähigkeiten brachten jedoch meist nicht mehr als einen ornamental-dekorativen Manierismus hervor, der gerade von den besten, von allen Hütten umworbenen Glasbläsern gepflegt wurde. Ohne künstlerische Ausbildung sahen sie in den technischen Schwierigkeiten des überbordenden Dekors ihre größte Herausforderung und ließen sich kaum sagen, wie sie zu arbeiten hätten, wie Dan Klein die Situation zusammenfasst. Was außerhalb Muranos geschah, interessierte sie nicht. Dem setzte der Mailänder Anwalt Paolo Venini (1895–1959) etwas entgegen. Von 1921 an betrieb er dort bis zu seinem Tod gemeinsam mit Partnern Glashütten, zuerst mit dem Antiquitätenhändler Giacomo Cappellin (1887–1968) und anderen die Vetri Soffiati Muranesi Cappellin-Venini & C., und nach dessen Ausscheiden 1925 die Vetri Soffiati Venini & C.

Veninis großes Verdienst ist es, Künstler und Architekten wie Carlo Scarpa oder Fulvio Bianconi zu entdecken, sie als Entwerfer in die Produktion zu integrieren und alle Beteiligten in einen kollegialen, kreativen Prozess zu führen, der dem venezianischen Glas eine neue Richtung verlieh: weg vom kleinteiligen Dekor und hin zu zeitgemäßen Gestaltungen. Und das bedeutete seit den 1920er Jahren, auf den international erfolgreichen Ideen des Funktionalismus aufbauend, vor allem klare Linien und Farben. Ausgehend von der Besinnung auf schlichte Formgestaltungen der Antike und des 16. Jahrhunderts verlief die Entwicklung Schritt für Schritt in einem stetigen Prozess, der in anderen Glashütten wie zum Beispiel Barovier & Toso oder Seguso Vetri d’Arte Mitstreiter und in den 1950er Jahren seinen Höhepunkt fand, als, wie Helmut Ricke schreibt, immer deutlicher wurde, „dass Kunsthandwerk hier mehr ist als dekorative Gefäßgestaltung oder der zeitversetzte Reflex auf Bewegungen der freien Kunst: Die Glaskunst der Nachkriegszeit in Murano ist authentische Äußerung ihrer Zeit – sie trifft Aussagen, die nur in diesem Material möglich sind.“

Carlo Scarpa (geb. 1906 in Venedig, Italien – 1978) fand noch während seines Architekturstudiums aufgrund eines Auftrags beim Umbau des Firmensitzes der Glasmanufaktur Cappellin & C. 1925 durch einen Zufall zum Glas. Obwohl er stets der Architektur treu blieb, den Glasentwurf parallel dazu entwickelte und auch nur bis 1942 ausführte, prägte er die Entwicklung des venezianischen Glases maßgeblich. Aufgrund seines Talents, weil er zudem von außen kam und die Dinge in einem weiteren Horizont zu sehen vermochte, konnte er dem Glas eine neue, zeitgemäße Gestalt verleihen. Dabei warf er nicht alles über Bord, um das Glasmachen neu zu erfinden, sondern griff durchaus auf Bewährtes zurück. Von 1927 bis 1931 war er für Cappellin & C. tätig und von 1933 bis 1942 für Venini & C.

Ein Kennzeichen der Arbeit von Scarpa ist die Betonung der äußeren Form. Die im traditionellen venezianischen Glas im Mittelpunkt stehenden Zwischenschichtdekore interessierten ihn weniger. Nur wenige Farben, oft nur ein oder zwei, wurden für ein Objekt benutzt. Seine schlichten Formen, gelegentlich an chinesische Gefäße angelehnt, sind meist symmetrisch. Mit der Vase „A bolle a relievi“, die eine einseitige Außenwulst trägt, weist er mit ihrer freien Asymmetrie bereits einen Weg in die 1950er Jahre. Bei manchen Serien ist die Außenwand zudem auf für Venedig völlig neuartige Weise durch eine kalt ausgeführte Oberflächenbearbeitung, ungleichmäßiges Ätzen oder unterschiedliche Schliffgestaltungen wie den hammerschlagartig wirkenden „Battuto“, mattiert. Scarpa hat auch die seit der Antike bekannten Tessuto- und Murrine-Techniken eingesetzt, bei denen vorgezogene Glasstäbe bzw. Segmente von ihnen ausgelegt und miteinander verschmolzen werden, um anschließend zum eigentlichen Objekt weiterverarbeitet zu werden. Sie sind in ihrer eigenständigen Form- und Farbgestaltung Höhepunkte in seinem Schaffen. Die Schale „Serpente“ ist ein zeitloser Klassiker, der seit seinem Entwurf 1940 über viele Jahrzehnte immer wieder neu produziert wurde.

Fulvio Bianconi (geb. 1915 in Padua, Italien – 1996) hatte von 1931 bis 1934 am Istituto Statale d’Arte ai Carmini und der Accademia di Belle Arti in Venedig ein Kunststudium absolviert und war seit 1935 als Grafiker und Illustrator in Mailand tätig. Wie Carlo Scarpa kam er durch einen Zufall zum Glas. 1946 entwarf er als Gelegenheitsarbeit Parfümflakons und lernte in diesem Zusammenhang Paolo Venini kennen, der das Talent von Bianconi sogleich erkannte. Seine ersten Entwurfsarbeiten für Venini sind Figurinen der Commedia dell’Arte, traditionell überlieferte Figurentypen, die er durch eine skizzenhafte Ausführung mit anatomischen Verzerrungen neu belebte. Auf der Biennale 1948 wurden sie ein großer Erfolg. Im Folgejahr stellte er die gemeinsam mit Paolo Venini entworfenen Fazzoletto (Taschentuch)-Vasen vor, die zu Ikonen des venezianischen Nachkriegsglases wurden.

Die Arbeit für eine einzige Glasmanufaktur wurde dem vor Ideen sprühenden Bianconi mit der Zeit zu eng. Ab 1950 arbeitete er für verschiedene Glashütten und ließ auch auf eigene Rechnung produzieren. Während die Formen von Carlo Scarpas Arbeiten an einer klassischen Harmonie orientiert waren, sah Bianconi hier Sterilität. Seine Gefäßkörper sind willkürlich verformt. Wichtig ist die Einzigartigkeit jedes einzelnen Gegenstandes. Filigrane Perfektion, das jahrhundertealte Kennzeichen venezianischen Glases, war genau das Gegenteil seiner Intentionen. Seine Arbeiten mit aufgeschmolzenen Farbglasstäben und farbigen Glasplättchen (zum Beispiel die Vasen „Scozzese“ oder „Pezzati“) sind so grob gearbeitet, dass jeder Anklang an ein klassisch venezianisches Dekor verschwindet und neben der Bedeutung der Form eine enorme Farbwirkung entsteht, die aber nie ins „Bunte“ abgleitet. Mit diesen Stücken steht Bianconi auf einer Ebene mit der abstrakten Kunst der 1950er Jahre, zu der er einen eigenständigen Beitrag leistet. Mit seiner Expressivität und Dynamik traf er laut Helmut Ricke „genau den Nerv einer Zeit, für die, nach Diktatur und Krieg, Werte wie Ungebundenheit und Freiheit und der Aufbruch in eine neue, bessere Zukunft ins Zentrum des Lebensgefühls rückten“.

Mary Ann „Toots“ Zynsky (geb. 1951 in Boston, MA, USA) ist eine mit Glas arbeitende Künstlerin (siehe den Eintrag Toots Zynsky), die nach ihrer Ausbildung in den 1970er Jahren viel mit anderen Materialien arbeitete, auch mit Stacheldraht, den sie als ein Symbol des Versagens der Menschlichkeit wahrnimmt. Als sie 1980 in New York wieder mit Glas arbeitete, wollte sie den Stacheldraht und das Glas miteinander verbinden. So begann sie, geblasene Glasobjekte mit Glasfäden zu umspinnen.

Nach dem Tod von Paolo Venini 1959 übernahm sein Schwiegersohn, der Architekt Ludovico Diaz de Santillana, Firmenleitung. Er setzte die künstlerische Linie Paolo Veninis fort, die er durch die verstärkte Zusammenarbeit mit internationalen Entwerfern aktualisierte. Zu diesen Entwerfern gehörten der Architekt und Möbeldesigner Tobia Scarpa, der Sohn von Carlo Scarpa, der amerikanische Bildhauer Thomas Stearns, der tschechische Glasschleifer Miroslav Hrstka oder der finnische Designer Tapio Wirkkala. Seit den 1970er Jahren wurden auch Entwürfe von Laura de Santillana, der Tochter von Ludovico, ausgeführt. Beide teilten sich ab 1980 die gestalterische Leitung von Venini.

Mit dem Thema des umsponnenen Glases lud Venini Toots Zynsky 1984 ein, Entwürfe für das Muraneser Glasunternehmen zu entwickeln. Herausgekommen ist eine Vase, die durch die Kontraste zwischen der elegant-klassischen Form und der groben Umspinnung und zum anderen mit ihrer kräftigen Farbigkeit beeindruckt. Zynsky nannte diese Serie zunächst „Chiacchere“, in den Handel gelangte sie jedoch mit der von Venini gewählten Bezeichnung „Folto“.

Allesandro Diaz de Santillana (geb. 1959 in Paris, Frankreich) ist der Enkel von Paolo Venini und Sohn von dessen Schwiegersohn Ludovico Diaz de Santillana, der das Erbe des Firmengründers als Geschäftsführer nach dessen Tod antrat. Er ist in eine Glasdynastie hineingeboren. 1981 trat er in das Unternehmen ein. Zunächst war Diaz de Santillana als Archivar tätig, später auch als Designer. Seine Arbeiten sind gekennzeichnet durch streng geometrische Formen und ein fein aufeinander abgestimmtes Spiel von Binnenstruktur und Farbe. Zu seinen herausragenden Arbeiten gehört die Vase „Coccio“, deren Mosaikelemente aus opal-weissem und honigfarbenem Glas gefertigt sind. In ihrer strengen Form ist die Vase trotz der hellen Grundfarbe sehr präsent im Raum und erhält durch die lichtdurchlässige Maserung eine große Leichtigkeit.

1985 wurde Venini & C. verkauft und die Familie Diaz de Santillana verließ Venedig. Alessandro arbeitete an verschiedenen Orten an eigenen Werken. Er wurde aber auch als Designer für Rosenthal und das nur kurzlebige neue Familienunternehmen „EOS Design nel Vetro“ tätig. Seit 1994 arbeitet Allesandro Diaz de Santillana als freier Künstler. Als er von 1997 bis 1999 als Gastdozent an der Universität von San Diego im Fachbereich Bildhauerei unterrichtete, fuhr er regelmäßig in die Glaswerkstätten in und um Seattle, um hier an großformatigen Installationen zu arbeiten. Mit seiner Rückkehr nach Venedig im Jahr 2000 entschied er sich endgültig zu einer Abkehr vom klassisch geblasenen Glas. Seitdem gestaltet er vor allem dreidimensionale Wandgestaltungen.

Die neuen Eigentümer von Venini, die Familien Gardini und Ferruzzi, führten das Unternehmen seit 1985 unter dem Namen „Venini S.p.A.“. 1998 und 2001 gab es weitere Eigentümerwechsel, zuerst eine Übernahme durch die „Royal Scandinavia Group“, die mit dem schwedischen Orrefors KostaBoda Konzern bereits Erfahrungen im Glas hatte, und dann durch die „Italian Luxury Industries S.P.A.“. Das über Jahrzehnte erfolgreiche Konzept der Zusammenarbeit mit internationalen Designern wurde von den neuen Eigentümerfamilien Gardini und Ferruzzi in den 1980er und 90er Jahren beibehalten. Zudem wurden erfolgreiche alte Modelle wieder aufgelegt.

Monica Guggisberg und Philip Baldwin (geb. 1955 in Bern, Schweiz und 1947 in New York, USA) zählen zu den neu gewonnenen Designern, die in den 1990er Jahren frei für Venini arbeiteten. Beide lernten sich Ende der 1970er Jahre an der Orrefors Glasschule kennen. Seitdem arbeiten sie miteinander und betreiben gemeinsame Werkstätten (siehe den Eintrag Philip Baldwin / Monica Guggisberg). Zu Beginn der 1980er Jahre, einer Zeit, in der das freie Studioglas die Szene dominierte, entschieden sie sich, in ihrem Studio designorientiert zu arbeiten: Handwerklich gefertigte Kleinserien schöner Gebrauchsobjekte wurden ihr Thema. Doch schon bald erkannten sie eine Reihe von Einschränkungen. Das betraf einerseits das Publikumsinteresse, das bei der Studioarbeit eher freie Arbeiten erwartete. Zum anderen betraf es die besseren Fertigungsmöglichkeiten, die in der industriellen Manufakturproduktion gegeben sind. Seit 1985 kam es zur Zusammenarbeit mit verschiedenen Unternehmen wie Rosenthal, Steuben Glass und seit 1995 mit Venini. In ihren für Venini geschaffenen Entwürfen vereinigen sie venezianische und schwedische Einflüsse. Die Farbigkeit und Regelmäßigkeit der Form entspricht eher skandinavischen Traditionen, während die Oberflächenbehandlung durch Schnitte und Schliffe wie den hammerschlagartigen „Battuto“ auf venezianische Vorbilder von Carlo Scarpa zurückgeht. In ihrem eigenen Studio fertigten Guggisberg und Baldwin auch weiterhin Designarbeiten, zunehmend aber auch freie Arbeiten als Unikat und Installationen, die mittlerweile das Werk der beiden dominieren.
Uwe Claassen

Achilles-Stiftung