BIOGRAPHIE

Eva Vlčková


Eva Vlčková (geb. 1966 in Turnov, Tschechoslowakei) entwickelt eine Kunst, die durch minimalistisch genutzte geometrische Grundformen, formale Strenge, zahlreiche Durchbrüche und das Streben nach einer ausbalancierten Harmonie in der Komposition der einzelnen Elemente besticht. Hinzu kommt die Verweigerung, die glänzende Brillanz von Glas zu nutzen: Ihre Arbeiten sind oft vollständig mattiert. Beim Einsatz von transparenten Glasfarben entsteht dennoch ein Tiefeneindruck, vor allem durch changierende Tonverläufe einer Farbe entsprechend des Materialdurchmessers. Eine Werkgruppe sind architekturartige Skulpturen. Sie wirken wie ein rechtwinkliges Labyrinth von Gängen und Treppenhäusern. Die Räume, die sie verbinden, sind nicht mit dargestellt; sie zu imaginieren, bleibt den Betrachtern überlassen („Building“). Dann sind da Arbeiten, bei denen runde Formen dominieren. Wie bei barocken Kunstkabinettstücken, Elfenbeinschnitzereien, umfängt ein labyrinthartiges Geflecht von Stegen einen Kern im tiefsten Inneren, behütet ihn, lässt ihn aber auch erkennbar werden („Shell“, „Stone“). Und dann sind da die „Cameras“, Glas umfangene Räume, deren Öffnungen für die Objektive stehen mit ihren unterschiedlichen Brennweiten, Verschlusszeiten und Zoomstufen.

Trotz der abstrakt-geometrischen Formen wirken die Arbeiten nicht kühl berechnend, sondern strahlen Ruhe aus, ja „Frieden und Intimität“, wie Pavla Rossini schreibt. Alles scheint einer tieferen, nicht sofort erkennbaren Logik zu folgen. Vielleicht können sie gelesen werden als Modelle für menschliches Verhalten: Wie jeder von uns sich in seinem Leben einrichtet, Wege findet, um sich in der unübersehbaren Welt zurechtzufinden, Ordnung schafft, sich und den anderen in diesem System Orte zuweist. Dieses Wegenetz ist mal deutlich und stabil, dann wieder unscheinbar und fragil. Bei Vlčková strebt es aber immer nach Balance und Harmonie, genau wie der Versuch, den Kern des inneren Wesens zu offenbaren und gleichzeitig zu schützen. Die „Cameras“ zeigen, wie selektiv unsere Wahrnehmung ist, solche Prozesse bei uns selber und bei anderen zu beobachten. Dazu kommen weitere Werkgruppen, die aus aufgestellten flachen Glasblöcken bestehen: Mit „Air“ sind Arbeiten überschrieben, die runde oder geschlitzte Öffnungen tragen. Die Ränder zu diesen Durchbrüchen sind von der Ansichtsseite her flach abgeschrägt. Sie wirken wie Trichter, die den Blick lenken und wie durch ein Tor von einer Welt in eine andere überführen. Und die „Shields“, die Schilder, wehren auf den ersten Blick standhaft alle Annäherungen ab: Zwei Ebenen Glasplatten stehen hintereinander und sind durch einen Steg miteinander verbunden. Dort, wo der Steg die beiden Platten verbindet, erscheint in der Durchsicht aber auch ein dunkler Rahmen, wie ein verschlossenes Fenster, das womöglich geöffnet werden kann, zumindest aber den Blick auf das Gegenüber ermöglicht. Im Interview mit Jana Nekolová haben sich Eva Vlčková und vor allem ihr Mann Petr Vlček dazu geäußert, wie Kunstwerke immer nur einen bestimmten Persönlichkeitsbereich repräsentieren – was für die Urheber gewiss genauso gilt wie für interpretierende Betrachter. Für Vlček entspringt die Arbeit seiner Frau einer starken inneren Überzeugung, was zu großer Feinfühligkeit und stabiler innerer Konsistenz führe.

Eva Vlčková stammt aus einer „Glasfamilie“: Der Vater arbeitete in einer Glashütte. Sie selbst absolvierte von 1983 bis 1987 die Glasfachschule in Želesný Brod, wo sie sich auf die Gravur spezialisierte. Ihr Studium an der Hochschule für Angewandte Kunst in Prag begann sie 1987, unmittelbar nachdem Stanislav Libenský die Schule verlassen hatte. Sie studierte zunächst bei Jaroslav Svoboda und machte ihren Abschluß 1993 bei Vladimír Kopecký. Ihre Abschlussarbeit umfasste am Ofen geblasene Gebrauchsgläser als auch formgeschmolzene individuelle Stücke. In den 1990er Jahren entwickelte sie ihre höchst eigenständige Formensprache. Und obwohl sich mit internationalen Ausstellungen und guten Verkäufen der Erfolg einstellte, geht Vlčková schon über lange Jahr hinweg neben ihrer künstlerischen Arbeit einer pädagogischen Tätigkeit nach: kurzeitig von 2001 bis 2002 als Leiterin des Gravurateliers an der Glasfachschule Želesný Brod, vor allem aber als Lehrerin für Ästhetik und bildende Kunst an einem Prager Gymnasium. „Ich würde wahrscheinlich mit den freien Arbeiten meinen Lebensunterhalt verdienen können, möchte aber sicher sein, dass mein Einkommen stabil bleibt.“ Trotz dieser Doppelbelastung ist es ihr gelungen, eine gereifte künstlerische Sprache und einen wahrnehmbar eigenen Stil zu entwickeln, mit dem sie einen festen Platz in der tschechischen und der internationalen Glaskunst einnimmt.
Uwe Claassen

Achilles-Stiftung