BIOGRAPHIE

Marián Volráb


Marian Volráb (geb. 1961 in Příbram, Tschechoslowakei) durchlief von 1978 bis 1982 mit prägendem Einfluss Josef Kochrdas Klasse für Glasgravur an der Glasfachschule in Kamenický Šenov. Vor allem dessen skulptural konzipierten, monumentalen Kohlezeichnungen und der Zeichenunterricht im Freien sind ihm in Erinnerung geblieben. Auch wenn Volráb während seines Studiums zwischen 1982 und 1988 an der Hochschule für Angewandte Kunst in Prag, die für ihre breite Ausbildung bekannt war, mit Glasmalereien auf sich aufmerksam machte, dominieren Gravur- und Schleiftechniken sein Werk bis heute. Für das Victoria & Albert Museum in London zählt er zu den wenigen tschechischen Glaskünstlern, die diese Arbeitsweisen „auf überzeugende Weise zeitgenössisch erforschen“. Auch im eigenen Land wird seine Arbeit anerkannt, von Sylva Petrová als ein „bemerkenswerter Beitrag zum gravierten Glas“ und von Ivo Křen als eine der „außergewöhnlich starken künstlerischen Positionen“ wahrgenommen.

Beim Betrachten seiner Arbeiten sticht als erstes das „Unterdrücken der typischen Eigenschaften von Glas“ ins Auge, wie Volráb es selber sagt. In ihrer dunklen Farbigkeit, vor allem aber in ihren mattierten, rauen Oberflächenstrukturen wirken sie schroff und abweisend. In der traditionellen Gravur geht es um Schönheit: Die Brillanz des klaren Glases wird kontrastiert durch fein gezeichnete Ornamente und Motive, die mit kleinen Rädern in das Glas geschnitten sind. Ganz anders bei Volráb: Mit großen Karborund-Scheiben schneidet er das Glas, trägt ganze Schichten ab, durchbricht es und zerstört durch unterschiedlich gekörnte Schliffe, durch Sandstrahlen und Ätzungen konsequent alle glatt-durchsichtigen Oberflächen, bis eine schrundig-amorphe Haut entsteht, die den Einblick ins Glas erschwert oder völlig verstellt. Zunächst arbeitete er mit mehrschichtig in verschiedenen Farben aufgebauten, formgeblasenen Hohlkörpern. Meist haben sie eine einfache Form, das Augenmerk liegt auf den gravierten und geschliffenen Strukturen. Seit dem Jahrtausendwechsel nutzt er vor allem formgeschmolzene Rohlinge, die nun auch größere Ausmaße und eine freiere Gestalt annehmen können, und flache Glaspaneele. In den 1980er Jahren suchten viele junge Künstler nach Wegen, die seit den 1960er Jahren dominierende Arbeit mit geschliffenem Glas, die gerade auf die Brillanz der Materialeigenschaften setzte, zu überwinden. Viele fanden den Weg ins neu aufkommende formgeschmolzene Glas. Marian Volráb entwickelte demgegenüber die erlernten traditionellen Techniken weiter, überwand mit dem Ziel, einen „malerischen Eindruck zu erzielen […] nicht mit dem Pinsel, sondern mit der Schleifscheibe ein Gemälde zu erstellen“, alles Dekorativ-Filigrane, und fand zu seiner höchst eigenständigen abstrakten Handschrift, die das Innere das Glaskörpers verschließt: „Ich denke, die Dinge an sich haben ein Geheimnis“, so der Künstler.

Die Oberflächen vieler Arbeiten Volrábs wirken wie archetypische Landschaften: Risse, Spalten, Kerben durchziehen sie. Löcher durchstoßen das Material völlig. Assoziationen an sich verfestigende oder im Gegenteil, an erodierende Erdmassen kommen auf. Manchmal türmen sich Strukturen auf wie aufeinanderstoßende Erdplatten oder die zusammengedrückten, versteinerten Überreste urzeitlicher Vögel, die von einem Paläontologen freigelegt wurden. Erkennbar ist nur etwas Schemenhaftes oder Fragmentarisches. Darum herum deutet sich zudem etwas Unbekanntes, neu zu entdeckendes an. Nichts scheint hier wirklich sicher definierbar zu sein. Es wirkt wie ein vorsichtiges Freilegen von Schichten, ein langsames sich Vorantasten. Der Neugier auf das Unbekannte steht der endgültige Verlust des entfernten Materials gegenüber. Wie weit kann man dabei gehen? Volráb geht es aber nicht um Landschaften oder die Beschäftigung mit der Natur an und für sich. Sein Hauptthema ist der Mensch. „Ich denke, dass er in meinen Arbeiten immer enthalten ist, sei es in spezifischen Formen […] oder durch die Umgebung, die auf ihn einwirkt.“ Volrábs Arbeiten sind vielmehr als „Bewusstseinslandschaften“ zu verstehen: Es geht um innere Zustände des Menschen, um seine innersten Gefühle und den Prozess, wie die Welt erlebt wird. Die Arbeiten sind ein „Sprung in die Welt hinter das Sichtbare, wo es nichts Eindeutiges und Offensichtliches gibt und wo der Wunsch besteht, Verborgenes zu entdecken. [… Im Mittelpunkt steht alles,] was mit dem Menschen, seinem Leben, seinem Körper, seiner Erfahrung und seinem Wissen zusammenhängt, das so schwer zu fassen ist“, wie es in einer Galeriemitteilung heißt. Die Naturgesetze können dabei sogar auf den Kopf gestellt sein, wenn in der Arbeit „Tears“ die Tränen nicht die Wange herab, sondern nach oben strömen. Und wenn diese verschlossenen, abweisenden Arbeiten im Wechsel des Tageslaufs plötzlich mit Tageslicht hinterleuchtet werden entfalten sie ein inneres Glühen, dass ihnen Erhabenheit verleiht. Ja, so muss es sein und nicht anders. Das Rätselhafte und Widersprüchliche gehört zu uns Menschen. In seinen Zeichnungen und Gemälden gelingt es Volráb ebenfalls, das Mehrschichtige des Menschlichen sinnfällig einzufangen – ihnen fehlt aber die Dimension des lichtdurchfluteten Materials, die nur das Glas bieten kann.
Uwe Claassen

Skulptur: Tears

Achilles-Stiftung