BIOGRAPHIE

Jiřina Žertová


Jiřina Žertová (geb. 1932 in Prag, Tschechoslowakei) hat als Absolventin der Staatlichen Fachschule für Grafik 1950 zum Glas gefunden und bis 1955 bei Josef Kaplický an der Hochschule für Angewandte Kunst in Prag studiert. Nach der kommunistischen Machtübernahme nach Ende des Zweiten Weltkriegs zog in den bildenden Künsten, politisch verordnet, der sozialistische Realismus als Leitrichtung ein. Die angewandten Künste, wie das Glas, entgingen weitgehend der Zensur, da ihre Erzeugnisse als Gebrauchsgegenstände gesehen wurden. Kaplický gelang es, in seiner Glasklasse ein liberales und inspirierendes Klima aufrecht zu erhalten, in dem die freie Kunst eine wichtige Rolle spielte. Viele Künstler, so auch Jiřina Žertová, konnten hier ihre Interessen in einem neuen Material verfolgen: dem Glas. Žertová befasste sich zunächst mit der Glasmalerei und dem Glasschliff. Durch die Zusammenarbeit der Hochschule mit dem Glaswerk Škrdlovice kam sie auch zum mundgeblasenen Hüttenglas. In den 1950er und 60er Jahren entwickelte sie als freie Gestalterin zahlreiche Entwürfe für Gebrauchsglas, von Trinkglasserien über Teller bis zu Vasen, mit denen sie erfolgreich an allen großen internationalen Ausstellungen beteiligt war, die für das neue Ansehen des tschechoslowakischen Glases so wichtig waren.

Mit der Hütte in Škrdlovice hatte Žertová eine Absprache getroffen, die gegen Ende der 1960er Jahre zu ersten freien skulpturalen Arbeiten führte: Wenn die Produktion ihrer Gebrauchsgläser vor der veranschlagten Zeit fertig wurde, konnte sie mit den ausführenden Glasbläsern experimentieren. Hier und später in der Glashütte Chřibska entstanden große Plastiken, mit denen sie im Anschluss an Pavel Hlava dem Verhältnis von Außenform und dem Inneren der Glasskulptur nachging. Dabei bevorzugte sie weiche organische Formen und setzte als Kontrast undurchsichtige Materialien wie Metall oder Holz ein. Helmut Ricke sieht diese Arbeiten als einen Höhepunkt der frei am Ofen geblasenen Glasskulptur der 1970er Jahre. Mit der Zeit begann Žertová, diese Mixed-Media-Arbeiten auch mit einer Malerei zu versehen, die sich mit ihren gegossenen und gespritzten Schlieren und Klecksen am Action Painting orientierte. Kritiker ignorierten diese Arbeitsweise zunächst. Dennoch machte Žertová am Ende der 1980er Jahre auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen gerade diese Malweise zum Mittelpunkt ihrer Arbeit. Sie begann, auf diese Art Flachgläser zu bemalen, die sie mit Holzklötzen als Abstandhalter horizontal übereinander schichtet. So gelangte sie zu einer neuen Form der bemalten Glasskulptur. Die Scheiben sind mal exakt übereinander geschichtet und mal in einer Linie verschoben, leicht verdreht oder stark winklig zueinander angeordnet. Es entstehen vielfältige luftige Körper, die auf einer verspiegelten Bodenplatte stehen, wodurch die Illusion eines unendlichen Raumes entsteht. Die Malerei beschreibt wie bei einer Computertomografie die Schichten eines Körpers. Manchmal sind die Scheiben bis zum Rand bemalt, häufiger aber formt die Malerei separate Formen im Gesamtkörper der Skulptur, zum Beispiel eine gemalte Kugel in einem Quader aus geschichteten farblosen Glasscheiben. Die Erkundung der sich wechselseitig bedingenden Raumrelationen sind das formale Thema dieser Kunst. Mit den Titeln ihrer Arbeiten zeigt Žertová eine poetische Seite, wenn sie „Luftschlösser“ baut, ein „Karussel“ sich drehen lässt oder zwei „Liebende“ auf Stühle setzt. Für Pavla Rossini sind Jiřina Žertovás Werke „Ausdruck einer starken, reifen schöpferischen Vision, Verkörperung von Sanftheit und eines offenen Geistes“.
Uwe Claassen

Achilles-Stiftung