BIOGRAPHIE

Willi Pistor


Willi Pistor (geb. 1935 in Wilsenroth, Deutschland) war Schüler des ersten Jahrgangs der 1949 gegründeten Glasfachschule im seinem Heimatort nah gelegenen Hadamar. Nach einer Ausbildung zum Glasschleifer arbeitete er in diesem Beruf und legte die Meisterprüfung ab. Von 1958 bis 1962 war er Werkstattleiter bei Hanns Model (1908–1983) in Stuttgart, dem damals bedeutendsten Glasveredeler in Deutschland. 1962 ging Pistor zurück nach Hadamar, um bis 1997 an der Glasfachschule als Lehrer das Fach Glasschliff zu unterrichten. Hier vollzog sich sein Wandel zum international anerkannten Künstler, der durch seine Lehrtätigkeit mehrere Generationen von Schülern prägte.

In Deutschland verlief die Entwicklung hin zum Neuen Glas bis auf Erwin Eisch völlig anders als in den USA. Zudem verlief sie in beiden deutschen Staaten unterschiedlich. In den USA dominierte nach Harvey K. Littletons Impulsen in den 1960er Jahren die Arbeit am Schmelzofen und es wurden an zahlreichen Kunsthochschulen Glasklassen eingerichtet. Obwohl Littleton zunächst stark von Erwin Eisch beeinflusst war, hatte dessen Arbeit im eigenen Land, in Westdeutschland, zunächst nur wenig Gewicht. Die Ausbildung wurde durch die drei Staatlichen Glasfachschulen in Zwiesel, Rheinbach und Hadamar dominiert. Sie bildeten für das Handwerk und die Industrie aus. Entsprechend ging es ihnen vor allem um die Vermittlung handwerklich-technischer Fähigkeiten zur Umsetzung der Entwürfe von Designern und Künstlern. Die ersten Persönlichkeiten, die diese Zustände überwanden, kamen aus dem Bereich der Kaltveredelung. Neben Glasmalern waren das vor allem Glasschleifer, die sich eher vom Tschechoslowaken Václav Cigler (geb. 1929) und seinen Schülern inspirieren ließen, als von den Amerikanern. Zu den prägenden Persönlichkeiten, die unter diesen Bedingungen ins Glas kamen und sich eine künstlerische Perspektive erarbeiteten, gehört Willi Pistor.

Die ersten eigenen Arbeiten von Pistor waren in den 1960er Jahren noch stark dekorativ geprägt. Immer mehr verzichtete er auf schlifftechnische Bravour „zugunsten der Verdichtung des Werks in klaren stereometrischen Formen […]. In ihrer Konzentration auf rein ästhetische Problemstellungen lösen sich Willi Pistors Arbeiten aus den Bindungen kunsthandwerklicher Traditionen, ohne jemals die dem Glas eigenen Gesetze zu leugnen“, wie Helmut Ricke schreibt. Pistor arbeitete nun mit hochbrechenden Spezialgläsern, wie sie für optische Geräte genutzt werden. Er erkannte die Gefahr des künstlerischen Substanzverlustes durch technische Perfektion und der Überfrachtung durch optische Effekte und beschränkte sich zunehmend auf wenige, oft fein differenzierte Gestaltungselemente. Anders als die meisten seiner tschechoslowakischen Kollegen, die das gleiche Ausgangsmaterial nutzten, kontrastierte Pistor die glatt polierte Außenform häufig durch ein Innenleben. Dafür nutzte er eine Schmelzschlifftechnik, die er mit Josef Welzel (1927–2014), einem Kollegen von der Glasfachschule Hadamar, entwickelt hatte: Das abgewogene optische Glas wurde über Schamotteformen eingeschmolzen. Eine Werkgruppe besteht aus Positiv- und Negativformen, die nach dem Abkühlen erst geschliffen und dann zusammengeschmolzen sind. Beim Verschmelzen entstehen an der Nahtstelle Blaseneinschlüsse, die durch die Beschaffenheit des Schliffs genau kalkulierbar sind. Der farblose Glaskörper erhält so Volumen und wird als plastischer Körper erfahrbar. Eine zweite Gruppe sind mehrteilige Objekte, die ihre Wirkung aus den räumlichen Bezügen der Einzelteile zueinander und dem Kontrast polierter und mattierter Flächen beziehen. In den 1990er Jahren begann Pistor zudem, mit Farben zu arbeiten. Er nutzte jedoch keine der üblichen Farbgläser oder Oxide, sondern experimentierte mit Metallgranulaten, die er mit dem Glas verschmolz. Durch die kontrollierte Regulierung der Temperatur und der Sauerstoffzufuhr können so verschiedene Farbtöne erzielt werden. Weitere grafische Gestaltungsmöglichkeiten eröffneten sich Pistor durch die Verwendung dünner Kupferdrähte, die seinem Konzept von Akzent und Balance zwischen strenger und amorpher Formvorstellung neue Impulse gaben.
Uwe Claassen

Achilles-Stiftung