BIOGRAPHIE

Frank van den Ham


Frank van den Ham (geb. 1952 in Amsterdam, Niederlande) sieht sich selber als Wanderer zwischen den Welten – und so wird er auch von anderen wahrgenommen. In den 1970er Jahren war er erstmals in Indonesien. Fasziniert kehrt er seitdem immer wieder dorthin zurück, lebt abwechselnd hier und seiner eigentlichen Heimat, den Niederlanden. Seine Faszination gilt zum einen den exotischen Landschaften, viel mehr aber noch den Menschen und ihrer so andersartigen Kultur. Hin und her gerissen lebt er seit Jahrzehnten in verschiedenen Welten: Europa, Indonesien und von 2004 bis 2012 in Südafrika. „Mit einem Bein hier und einem Bein dort, scheint die Sache gleichmäßig verteilt. Mein Herz jedoch kann nur an einem Ort verweilen …“, so van den Ham. Die Verbindung zwischen den Menschen unterschiedlicher Kulturen wurde zu seinem zentralen Thema, in der Arbeit mit Glas, in Gedichten, die er schreibt, und in bisher drei Büchern, die Fotos von seinen Kunstwerken abbilden, seine Gedichte enthalten und Fotos seiner indonesischen bzw. südafrikanischen Wahlheimat. Die Titel der Bücher weisen den Weg von van den Hams Denken und Empfinden: „Pahit Manis“ (1998) steht für den Gegensatz zwischen dem Sanften, Süßen und dem Bitteren, „Pulang“ (2001) meint die Heimkehr und „Ubuntu“ (2006), aus der Sprache der Zulu und Xhosa, steht für den Gemeinsinn und Nächstenliebe: „Ich bin, weil wir sind“. Es ist der Traum der friedlichen Vereinigung aller Menschen in ihrer Vielfalt, wie van den Ham in einem Film anlässlich seiner Retrospektive 2017 im Wasserschloss Kasteel De Canneburgh in Vaassen sagt. In „Pahit Manis“ fragte Anne Vanlatum vom Glasmuseum in Sars-Poteries nach den Träumen des Künstlers „auf der gläsernen Brücke zwischen seinen zwei Welten“. 2017 antwortete der: „Nicht mehr lange, Anne, nicht mehr lange braucht es, bis die Brücken gebaut sein werden.“

Van den Ham hat weder eine handwerkliche Ausbildung an einer Glasfachschule noch ein Kunststudium absolviert. Als Jugendlicher entdeckte er beim Familienurlaub in Tirol die Glasgravur. Fasziniert erlernte er autodidaktisch die nötigen Arbeitstechniken und versorgte sein persönliches Umfeld mit zunehmendem Erfolg mit graviertem Glas. Beruflich ging er in den kaufmännischen Bereich und wurde für das Europageschäft eines amerikanischen Möbelherstellers tätig. Als der ihm 1982 einen Sprung auf der Karriereleiter anbot, ging van den Ham in sich und entschied sich in Anbetracht von noch bevorstehenden 35 Berufsjahren gegen die Sicherheit eines festen Einkommens. Er kündigte und baute das bisherige Hobby zu seiner Profession aus. Ein Laden wurde angemietet, wo er von ihm selbst und von anderen gefertigte Glasobjekte verkaufte. Inzwischen hatte er sich von der Gasgravur auf das „Fusing“ und „Slumping“ von Glas verlegt. Bei der Gravur fehlten ihm mit der Zeit die Farben. Zudem arbeitete er mit eingekauften Rohlingen, deren Form er nicht mehr verändern konnte. Bei einer Reise nach New York sah er dann 1980 Arbeiten des Deutschen Klaus Moje, der zugeschnittene Glasstäbe in einem Brennofen erst zu einer Platte miteinander verschmolzen hatte (Fusing), die in einem zweiten Ofengang über einer Form zu Schalen abgesenkt sind (Slumping). Zurück zu Hause holte van den Ham einen alten Keramikofen hervor und begann mit Schmelzversuchen. Die antike Technik, die lange in Vergessenheit geraten war, wurde zu dieser Zeit allmählich wiederentdeckt. Dabei galt es insbesondere Probleme zu lösen, die durch die Ausdehnungskoeffizienten verschiedener Gläser entstanden. Beim Abkühlen ziehen sie sich unterschiedlich zusammen, so dass das Glas reißt. Mit Hilfe von Büchern zur Glastechnik, der Teilnahme an Lehrgängen in den USA und der Entdeckung der Firma Bullseye Glass, die mit Klaus Moje zusammen kompatible Farbgläser entwickelte, konnte er diese Schwierigkeiten bewältigen und in kurzer Zeit ein künstlerisches Werk entwickeln, das ihn international bekannt machte. Als der Mietvertrag für seinen Laden auslief, konnte er für den Verkauf seiner eigenen Arbeiten auf Galerien umsteigen. In Gouda richtet er 1985 eine Glaswerkstatt ein und ging – mal hier, mal dort seiend – in einem Leben zwischen den Welten auf.

Die ersten Fusingarbeiten van den Hams sind durch geometrische Ordnungen gekennzeichnet. Eckige Grundformen sind mit Farbfeldern gefüllt, die zum Teil dunkle Bänder trennen. Schon bald machte sich der Einfluss Indonesiens bemerkbar und führte in den 1980er und 90er Jahren zu einer Fülle von Werkgruppen, die sich aufeinander beziehen. Die Opfergabe als Ausdruck für das Gefühl, das es etwas Größeres, über die eigene Persönlichkeit hinausgehendes gibt, wurde ein zentrales Thema: Van den Ham stellt dabei eine oder mehrere kleine Schalen auf eine größere. Die kleineren sind nicht mit konkreten Gaben gefüllt – die Geometrie ihres Dekors steht für die persönliche Ordnung, die auf ein größeres Ganzes bezogen wird. Verfolgt man den Gedanken weiter, dass das Dekor von van den Hams Objekten individuelle Ordnungssysteme symbolisiert, dann können auch seine großen, imposanten Schalen und Vasen als Auseinandersetzung zwischen dem Ich und dem Anderen gesehen werden. Es ist kaum vorstellbar, wie diese bis zu 50 Zentimeter hohen, eleganten Vasen aus zu einer Platte verschmolzenen Glasstreifen entstanden. Die große Präsenz ihrer klaren Farben und Muster steht in Kontrast zu den Rändern, die ausfasern, löchrig durchbrochen sind und durch Sandstrahlen mattiert ihre Brillanz verloren haben. Auch Vorstellungen von Ordnung sind evolutionären Entwicklungen ausgesetzt. Während sie an der einen Stelle klar und präsent erscheinen, erodieren sie anderswo. Persönlichkeit ist vielschichtig. So besteht eine Werkgruppe aus zu diskusartigen Körpern verklebten, flach abgesenkten Schalen. Auch sie sind aufgebrochen, so dass die Unterschiede zwischen dem Innen und dem Außen erkennbar werden. Die Ränder auch ihrer Bruchkanten erodieren. Gern stellt van den Ham zwei oder mehrere solcher Körper zusammen und bezieht sie so aufeinander (z.B. „Stay with me“, 1988). Bisweilen scheint es, als wenn ein Körper kleine neue gebiert („In my mind“, 1989). Weitere neu aufgekommene Themen sind das Fenster als Verbindung zwischen dem Innen und dem Außen, dem Eigenen und dem Anderen, das Boot als Symbol des Übergangs nach dem Tod und Bekleidung, die, gläsern dargestellt, auf einem Ständer präsentiert ist. Mit der zunehmenden Vertrautheit seiner indonesischen Umgebung lernte van den Ham auch zahlreiche Handwerker kennen, mit denen er immer wieder Kooperationen einging: Schalen aus Tropenholz, Metallfassungen und Ikat-Stoffe ließ er nach seinen Entwürfen fertigen. Die Konfrontation dieser Arbeiten mit seinem Glas bedeutet eine weitere Ebene der Auseinandersetzung des Eigenen mit dem Anderen.

2004 brachte die Übersiedlung nach Südafrika eine neue Farbpalette in das Werk van den Hams. Der tragische Tod seines Partners, der im eigenen Appartement ermordet wurde, führte jedoch zu einer zeitweiligen Nutzung eher gedeckter Farben. In einer zweiteiligen von Grautönen geprägten Arbeit fragte er 2006, wie weit die Nacht den Tag und die Nacht den Tag in sich trägt („Augustijn“, 2006). Der Schutzschild als Teil historischer afrikanischer Kriegsausrüstung wurde Thema einer Werkgruppe, mit der er die Verletzlichkeit des Menschen und seine Fähigkeit zur Abwehr thematisierte. 2012 ging Frank van den Hams Reise weiter. Er kehrte zurück nach Bali. Kontemplation und Reflektion inspirieren ihn dort zu neuen Arbeiten: Glasscheiben, meist mit Linienmustern, sind eingerollt und mit Draht umwickelt. Sie wirken wie Schriftrollen, von denen unklar ist, ob sie verschlossen bleiben, oder sich öffnen lassen.
Uwe Claassen

Skulptur: Schale

Achilles-Stiftung