BIOGRAPHIE

Livio Seguso


Livio Seguso (geb. 1930 in Venedig, Italien) stammt aus einer alten venezianischen Glasmacherfamilie. Er gehört zu den wenigen Maestros in der Lagunenstadt, die in den 1970er Jahren den Anschluss an die Entwicklungen des internationalen Studioglases suchten und schafften. Im Alter von vierzehn Jahren begann er seine Ausbildung als Glasbläser bei einem der ganz großen, bei Alfredo Barbini. Seguso blieb bis 1960 als Assistent in dessen Werkstatt, bis er selbst als Meisterglasbläser, als Maestro, zu Salvati & C ging. Hier arbeitete er eng mit dem künstlerischen Leiter Luciano Gaspari (1913-2007), einem an der Kunstakademie ausgebildeten Maler, zusammen. Aus der Erfahrung der 1950er Jahre, als sich das venezianische Glas durch das glückliche Zusammengehen der handwerklichen Perfektion mit dem Interesse an den avantgardistischen Form- und Dekorvorstellungen der Zeit verband, forderten die Eigner der Glashütten ihre Meister dazu auf, neben der Arbeit nach fremden Entwürfen auch eigene Vorstellungen zu realisieren. Inzwischen hatte sich jedoch wieder eine Stimmung breit gemacht, in der der Murano sich selbst genügte. Seine große Stärke, die Vielfalt der technischen Möglichkeiten und das unerschöpfliche Potential geschickter Glasbläser, wurde zu einer Schwäche: Die Perfektion der Arbeitstechnik wurde über die Gestaltung gestellt und in Anbetracht der großen Tradition Muranos schaute man bis auf Ausnahmen, wie z.B. bei Venini, auch kaum darauf, was außerhalb geschah. Mangels künstlerischer Ausbildung endeten die Bemühungen der Maestros um eigene Gestaltungen „oft in einem undefinierten Niemandsland zwischen Kunst, Kunstfertigkeit und Handwerk“, wie Helmut Ricke befindet. Nur im Einzelfall wurden vorzügliche Ergebnisse erzielt. Wirklich große Leistungen gelängen wenigen, und „der einzige aus der Reihe der Meisterglasbläser, der den Schritt zur freien Glasgestaltung uneingeschränkt vollzogen hat, ist Livio Seguso.“

1969 richtete Seguso sein eigenes Studio ein und fand als künstlerischer Autodidakt nach einer Phase des Suchens und Experimentierens im Laufe der 1970er Jahre zu einem eigenständigen bildhauerischen Werk. Dabei entfernte er, der einst für Gefäße und Tierplastiken berühmt war, sich immer weiter von jeglicher Funktionalität und gegenständlichen Darstellungsweise. Im Mittelpunkt seiner abstrakten Skulpturen der 1980er Jahre standen letztendlich die Reinheit der Form und das Verhalten von Glas im Licht. Damit steht er in der Nähe der tschechoslowakischen Künstler um Václav Cigler, die industriell gefertigte Blöcke optischen Glases zu ihren Plastiken schliffen. Im Gegensatz zu ihnen blies und formte Seguso seine Rohlinge nach konkret durch Zeichnungen und Modelle vorbereiteten Plänen am Ofen, die er dann kalt weiterverarbeitete. Unter fast völligem Verzicht auf die Nutzung von Farbe zielte er darauf, das Glas in seiner vorgeblichen Immaterialität als plastisches, Körper und Volumen bildendes Material ernst zu nehmen. In stets gerundeter, oft ellipsenförmiger Gestalt bewahren seine Arbeiten dieser Zeit ihre Entstehung aus der flüssigen Schmelze. Es sind schwerelose Raumkörper, deren plastische und grafische Gestalt das Licht führt. Viele der Arbeiten werden von Metallsockeln gehalten. „Denn das Glasmaterial, das ‘aus dem Meer geboren (ist), um in der Atmosphäre zu leben’, muss nach Segusos Anschauung ein Gegengewicht erhalten, um sich nicht zu verflüchtigen“, wie Clementine Schack von Wittenau schreibt. Seit den 1990er Jahren nutzt Seguso auch andere Materialien wie Granit, Marmor oder Holz als Kontrapunkt. Mit ihren jeweils eigenen Eigenschaften und poetischen Potentialen boten sich ihm nun erweiterte Ausdrucksmöglichkeiten, und er setzte auch kantige, geometrische Formen ein. Livio Segusos grundsätzliches Anliegen blieb jedoch das gleiche: „Die Reinheit der Materialien nutzt er, um mit dem Licht und dem Raum zu tanzen, sie miteinander auszubalancieren.“ Neben der Arbeit an seinen Skulpturen befasst sich Seguso auch mit der Malerei und Installationen.
Uwe Claassen

Skulptur: Nastro

Achilles-Stiftung