BIOGRAPHIE

Jana Voldřichová


Jana Voldřichová (geb. 1962 in Kutná Hora, Tschechoslowakei) absolvierte zwischen 1983 und 1987 eine handwerklich orientierte Ausbildung an der Glasfachschule in Kamenický Šenov. Als sie 1990 ihr Studium an der Akademie für Kunst, Architektur und Design in Prag, der seit 1989 reorganisierten und umbenannten Hochschule für Angewandte Kunst, begann, hatte sich die Welt verändert. Die „samtene Revolution“ hatte das kommunistische Regime hinweggefegt. An der Akademie hatte der 1990 als Leiter der Glasabteilung berufene Vladimír Kopecký das Kurrikulum umgekrempelt. Die über viele Jahre vorgeschriebene breite aber auch starre Ausbildung hatte seiner Ansicht nach zu einem zumeist dekorativen Akademismus geführt (Kopecký 1991: 46). Er selbst arbeitet mit vielen Materialien, ist nicht nur auf das Glas fixiert und geht stark konzeptuell vor. Entsprechend frei gestaltete er seinen Unterricht, in dessen Zentrum die individuelle künstlerische Persönlichkeit der Studierenden stand. Sie konnten ihren eigenen Interessen nachgehen und waren nicht verpflichtet, überhaupt mit Glas zu arbeiten. Sylva Petrová hat diese Situation beschrieben und die Befürchtungen vieler traditionell orientierter Akteure in der tschechischen Glasszene, dass das Glas komplett aus dem Programm der Akademie herausfallen könnte (Petrová 2001: 194-195).

Dass es unter Kaplický so nicht gekommen ist, ist nicht zuletzt auch am Werk Jana Voldřichovás abzulesen. Die Zusammenarbeit mit großen Glaswerken blieb bestehen und Studierende, die sich mit Gebrauchsglas befassten, konnten ihre Entwürfe weiterhin z.B. bei Moser in Karlovy Vary realisieren (Mergl/Pánková 1997: 308, 350-351). Diesen Arbeiten ist anzusehen, dass sich nicht nur die Verhältnisse in der Politik und an der Akademie gewandelt hatten, sondern auch die in der Ästhetik. Studentenentwürfe für Trinkglasserien der 1980er Jahre waren noch schlicht und zurückgenommen. Sie folgten dem im 20. Jahrhundert lange erfolgreichen Diktum, dass die Form der Funktion zu folgen hätte. Ganz anders die neuen Ideen. Voldřichovás luxuriöse Flaschen, Karaffen und Trinkgläser spielen am Art Deco angelehnt großzügig mit Proportionen: Spitz zulaufende Formen stehen gegen sich weitende, schlank gegen gedrungen. Goldauflagen akzentuieren nicht nur einzelne Elemente, sondern erhöhen auch die Wertigkeit jedes einzelnen Stücks. Der schon länger unterschwellig aufkommende Anti-Funktionalismus, der in den 1980er Jahren mit der Gruppe Memphis um den Mailänder Designer Ettore Sottsass seinen Durchbruch hatte, war jetzt auch endgültig im tschechischen Glasdesign angekommen. Voldřichovás Trinkgläser können benutzen werden – aber ohne Benutzung fordern sie eben auch Beachtung als kreative künstlerische Leistung ein.

Damit stellen sie auch eine Aufweichung der starren Grenzen zwischen freier und angewandter Kunst dar. Noch stärker erkennbar ist dieses Aufweichen in den Dosen-Objekten aus Voldřichovás Serie „Tee-Stillleben“: Aus Blechen und Drähten gestaltete sie eine Form, in die das Glas hineingeblasen wurde und die Bestandteil des fertigen Werks ist. In weichen, gerundeten Formen drängt das Glas zwischen den rostigen Blechen und Drähten hervor. Zwei solche Arbeiten bilden ein Gefäß und seinen Deckel. Es sind phantasievolle Architekturen, die märchenhaft verklärt an zwiebelturmbewehrte Kirchen und Schlösser Osteuropas erinnern. Durch den Titel werden sie zu Aufbewahrgefäßen für Tee erklärt. Ein Ensemble dieser Gefäße konnte Voldřichová auf der wichtigen Ausstellung „Venezia Aperto Vetro. International New Glass“ 1996 in Venedig präsentieren und erhielt gemeinsam mit ihrer Kommilitonin Alena Matějka den ersten Preis in der Gruppe der Studierenden zugesprochen, weil beide überzeugend die Themen Gefäß, Objekt und Installation zu verbinden wussten (Petrová 2001: 195). Diese künstlerische Arbeit hatte sich zudem von der Moderne, ihren formalen Interessen und daraus abgeleiteten Stilen entfernt. Postmoderne Ansätze sind hier erkennbar, die zunehmend persönliche inhaltliche Anliegen in den Mittelpunkt des Werkes stellen: Es geht um die Bedeutung des Menschen in dieser Welt, wie er die Welt wahrnimmt und diese Sinneseindrücke in verschiedenen Ebenen seines Bewusstseins und Unterbewusstseins verarbeitet (ebd.: 228). Sämtliche bereits bestehenden Kunststile und alle Materialien stehen dabei als ein Fundus bereit, neu genutzt und kombiniert zu werden.

Genau eine solche Breite an vorgefundenen Stilelementen, an unterschiedlichsten Materialien von Glas über Bronze, Eisen, Holz, Gold, Silber und Edelsteinen bis zu Papier und Fundstücken sowie unterschiedlichsten Methoden, sie einzusetzen, nutzt Voldřichová. Trotz dieser großen formalen Heterogenität wird diese künstlerische Arbeit zusammengehalten: auf einer inhaltlichen Ebene. „Ein Königreich der Träume und zugleich ein Alltag voller Wunder, das ist Jana Voldřichovás Welt.“ So beschreibt ihre ehemalige Kommilitonin Alena Matějka dieses Werk: „Was sie schafft, ist nützlich oder dekorativ, es ist Kinderspielzeug, Bild, Altar oder Gedicht, lauter Kunstwerke, in welchen Erinnerungen und Begegnungen nachhallen. Janas Werke verkörpern Gefühle, geben ihnen ein Gesicht und bewahren ihren Schatten“ (Matějka 2012: 4). Auch vermeintlich Unbedeutendes kann so ins Bewusstsein empor gehoben werden und geradezu wie ein Kultobjekt mit längst verblasster Bedeutung eine geheimnisvolle Anziehung ausüben. „Can you see me?“ von 2006 ist ein Hirsch im Schneegestöber, graviert auf eine Glasscheibe. Das Geweih ist gemalt und aufmontierte Spitzendeckchen erinnern an die geometrische Struktur von Schnee- und Eiskristallen und gleichzeitig an die Welt unserer Großeltern, die uns behüteten und für die diese Deckchen den Wert von Statussymbolen besaßen. „Open Arms“ von 1998 ist eine Schale aus formgeschmolzenem, dunkelgrauem Glas. Die Wandung ist auf einer Seite zu einem Oberkörper und Kopf hochgezogen. Gegenüberliegend berühren sich zwei Hände. Die ausgebreiteten Arme bilden den Rand der Schale, deren Inneres von Sternen bedeckt ist. Die Augen leuchten wie zwei Mondsicheln und das Herz glüht rot. Für die Serie „Clothes for Dolls“, 2006 – 2011, sind formgeblasene Kleider aus Glas auf Holzständer montiert. Herausgeschliffene und gravierte Dekore stehen für „Schmetterlinge im Bauch“, für die „Nachtrose“, „Juwelen“ oder das „Herbstlied“. Die Linien der Maserung einer gedrechselten Holzschale bilden die Sitzreihen eines Eisstadions; auf der gläsernen Eisfläche zieht ein aus kleinen Perlen aufmontiertes Kind mit Bommelmütze und rotem Schal seine Runden. Den Rand des Stadions bilden die Schienen einer hölzernen Eisenbahn („The Scater“, 2012). „Indian“ von 2012 ist eine formgeschmolzene Büste, ein Selbstporträt der Künstlerin als Indianerin. Selbstbewusst schaut sie leicht auf zu einem imaginären Gegenüber. Die Augen sind wie der Boden einer Blüte von eintätowierten Blütenblättern umgeben; im Haar stecken Federn. „Jana ist der Stoff, aus dem die Träume sind“, so bringt Alena Matějka ihr Bild von ihrer Freundin in Anlehnung an Shakespeare auf den Punkt (Matějka 2012: 5).
Uwe Claassen

Literatur:

Helena Braunová: Pozvánka do Sklářského muzea v Novém Boru. In: Šenovské Listy, 12/2015, Ausgabe der Stadt Kamenický Šenov, 4. www.kamenicky-senov.cz › modules › download Šenovké listy 12-15-web [20.3.2020]. // Uta Klotz: Venice. Rückblick auf die Ausstellung Venezia Aperto Vetro. A look at the exhibition Venezia Aperto Vetro. In: Neues Glas 4/1996, 20-29. // Vladimìr Kopecký: Der Mann, der das Glas entmythologisierte. Ein Gespräch mit Prof. Vladimìr Kopecký / The man who demythologized the glass. An interview with Prof. Vladimír Kopecký. In: Neues Glas 4/1991, 46-47. // Antonín Langhamer: The Legend of Bohemian Glass. A thousand years of glassmaking in the heart of Europe. Zlín 2003. Englische Übersetzung von: Legenda o českém skle. Zlín 1999. // Alena Matějka: Zwischen Traum und Imagination – Jana Voldřichová. In: Glashaus 4/2012, 4-5. // Jan Mergl / Lenka Pánková: Moser 1857-1997. Karlovy Vary 1997. // Sylva Petrová: Czech Glass. Prag 2001. (Überarbeitete und ergänzte Neuauflage 2018). // 1. Internationaler Uelzener Glaskunstpreis ‚Caspar Lehman’ für Glasschnitt und Glasschliff 2002. Hg. von Uwe Harnack im Auftrag des Museums- und Heimatvereins des Kreises Uelzen. Uelzen 2002. // Venezia Aperto Vetro: International New Glass. Ed. by Attilia Dorigato and Dan Klein. With Essays by Dan Klein, Susanne K. Frantz, Sylvia Petrová, Helmut Ricke, Jean-Luc Olivié and Attilia Dorigato. Venedig 1996.

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